Sie nennen es Leben
Zusammenspiel mit dem Umbau zur Wissensgesellschaft scheint die Digitalisierung die Spaltung in Arm und Reich voranzutreiben. Und durch die starre Trennung im Schulsystem werden Schüler mit höherem Bildungsgrad noch weiter privilegiert.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, Online-Angebote zu überarbeiten und anzupassenâ also statt einer E-Mail-Adresse als Kontaktmöglichkeit vielleicht Chats einzurichten, weil diese unter Hauptschülern beliebt sind. Integration muss vielmehr offline ansetzen, denn soziale Spaltung ist kein Netz-Phänomen. Neil Selwyn, der Bourdieus Kapitalbegriff fürs digitale Zeitalter überarbeitet hat, bringt es auf den Punkt: » Soziale Probleme brauchen soziale Lösungen. «
Die Abgrenzung, die Jugendliche online vollziehen, ist aber auch eine Folge der Veränderung des Internets insgesamt. Mit der Etablierung des Internets als Massenmedium hat zwar theoretisch eine Ãffnung stattgefunden. In der Praxis wählen User aber immer kleinere Ausschnitte des Internet. Das zeigt sich auch an den Kontakten, die Jugendliche online pflegen. Meist kommunizieren sie online nur mit denen, die sie auch offline gut kennen. Nur wie sie kommunizieren, hat sich verändert.
Zu Besuch bei SchülerVZ
Berlin-Mitte im Herbst 2010 . Kaum hat sich Clemens Riedl hingesetzt, würde er am liebsten aus Empörung wieder aufspringen. » Die Berichterstattung über SchülerVZ ist nicht nur skandalös, sie ist gröÃtenteils falsch. « Der Geschäftsführer der VZ-Netzwerke, zu denen neben SchülerVZ noch StudiVZ und MeinVZ gehören, möchte sofort einige Dinge über sein Unternehmen klarstellen. » Mit Aufreger-Themen wie Datenschutz macht man vielleicht Auflage und spielt mit den Ãngsten der Eltern « , sagt Riedl. » Tatsache ist aber: Wir sind das soziale Netzwerk, das am sorgfältigsten mit den Daten der jungen Leute umgeht. Was wir machen, macht keiner sonst. «
Clemens Riedl trägt einen bedruckten Kapuzenpullover. Er hat die dunklen Haare leicht gegelt. Das lässige Outfit täuscht etwas darüber hinweg, dass der 40 -jährige in einer wichtigen Arbeitsphase steckt. Bei den VZ-Netzwerken stehen die Strategieplanungen fürs nächste Jahr an. Es ist das erste Mal, dass Riedl die Verantwortung für das gesamte Unternehmen trägt, das mittlerweile rund 300 Mitarbeiter beschäftigt.
Aber Riedl hat noch mehr Gründe, angespannt zu sein. Mit rund 5 , 8 Millionen Usern ist SchülerVZ zwar das beliebteste Social Network unter Deutschlands Schülern. 53 Prozent aller jungen Nutzer sind laut JIM-Studie hier angemeldet. Doch SchülerVZ steht vor einem Wendepunktâ wahrscheinlich zum Schlechteren. Erst geriet das Netzwerk unter Druck, weil es so schnell erfolgreich wurde und sich Eltern, Verbraucherschützer und Medien fragten, ob die Daten der Schülerinnen und Schüler auch sicher seien. Heute sind die Daten auf SchülerVZ sicherer denn je. Doch das scheint kaum mehr jemanden zu interessierenâ das neue Erfolgsmodell ist jetzt Facebook.
Bislang zwei Mal gelangten riesige Datensätze von SchülerVZ-Users an Dritte. Der gröÃte Skandal wurde im Mai 2010 öffentlich. Damals wurden dem Blog Netzpolitik.org nach eigenen Angaben 1 , 6 Millionen aktuelle Datensätze zugespielt. Das waren rund 30 Prozent aller Nutzerprofile aus dem Social Network. » Bei uns hat sich noch nie jemand eingehackt oder eine Datenbank geknackt « , sagt Riedl mit groÃem Nachdruck. » Der sogenannte Hacker, von dem berichtet wurde, hat öffentlich sichtbare Daten maschinell ausgelesen, indem er Captchas (eine Art elektronischer Stolperstein gegen automatisierte Auswertungen) übergangen hat. Bei anderen Networks kommen sie an diese Daten ohne jegliche Hürde heran. « Experten setzten dagegen, dass der Umfang der Datensätze nahelege, dass sie zentral und systematisch erfasst und gesammelt worden waren. » Hacker-Angriff: SchülerVZ-Datenklau übler als gedacht « , titelte die Berliner Boulevard-Zeitung » B. Z. « .
» Hinter knapp sechs Millionen Usern stecken zwölf Millionen Eltern « , sagt Riedl. » Das ist ein sehr groÃes Aufregerpotenzial, mit dem man gut Auflage machen kann. « Er hat vor SchülerVZ zehn Jahre im Holtzbrinck-Verlag gearbeitet und kennt das Zeitungsgeschäft.
Die Aufregung, die es um die Datenskandale gab, hat
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