Sie nennen es Leben
Internet gestellt.
So befremdlich diese Beispiele auch sein mögen: Sie sagen wenig bis gar nichts über Jugendliche allgemein aus. Knapp sieben Jahre nach dem ersten groÃen Web 2 . 0 -Hype gestalten sich die Dinge deutlich komplizierter, als es die Wahrsagungen der Netzdeuter glauben machen. Deutsche Jugendliche sind nämlich weit weniger mitteilungsfreudig als bislang gedacht. Laut JIM-Studie 2009 , die Web 2 . 0 -Aktivitäten zum Schwerpunkt hatte, schreiben nur 12 Prozent aller 12 - bis 19 -Jährigen in Deutschland regelmäÃig Beiträge in einer Newsgroup oder einem Forum. Blogs sind sogar noch weniger verbreitet: Nur 4 Prozent der Befragten gaben an, regelmäÃig zu bloggenâ derselbe Wert, auf den auch Twitter kommt. Im Alltag von Jugendlichen spielen diese Medien also entgegen aller Hypes keine nennenswerte Rolle.
Und auch bei anderen Web 2 . 0 -Anwendungen erweisen sich junge Deutsche als passive Konsumenten: Lediglich 8 Prozent von ihnen laden Fotos oder Videos hoch, bei Sounddateien liegt der Prozentsatz sogar nur bei 6 Punktenâ dabei gehören Musik hören und Videos gucken zu ihren Lieblingsaktivitäten im Netz.
Auch wenn Jugendliche kaum bloggen oder twittern, sind sie trotzdem Kommunikationsjunkies. 71 Prozent von ihnen nutzen nach Erkenntnis der JIM-Studie 2010 Plattformen wie SchülerVZ regelmäÃig, die Hälfte von ihnen täglich und von diesen noch einmal 59 Prozent sogar mehrmals am Tag. Social Networks sind denn auch der Ort, an dem Jugendliche am meisten von sich preisgeben: Auf ihren Profilseiten finden sich persönliche Informationen wie Name, Alter, Geschlecht, Wohnort und Schule, Bildergalerien geben Aufschluss über ihre Freunde und darüber, was sie gemeinsam unternehmen. Allein auf SchülerVZ haben User nach Angaben des Social Network über 200 Millionen Fotos hochgeladen.
Woher diese Mitteilsamkeit kommt und welche Probleme sie mit sich bringen kann, hat sich in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt: Als Ort, an dem Jugendliche Status und Freundschaften verhandeln können, sind Social Networks unschlagbar. Sie sind ihre Räume, in denen ihre Regeln gelten.
Oder so erscheint es zumindest. Denn auch wenn sich Social Networks der elterlichen Kontrolle entziehen, sind sie nicht privat: Die Anbieter der Plattformen sind Unternehmen, die geschäftliche Interessen verfolgen. Ihre Regeln zum Datenschutz orientieren sich oft stärker an der Vermarktbarkeit von Nutzerdaten als an deren Schutzâ siehe die nicht enden wollenden Datenschutzskandale von Facebook.
Handeln Jugendliche also verantwortungslos, wenn sie als echte, identifizierbare Personen im Web unterwegs sind?
Warum wir im Netz nur wir selbst sein wollen
Mit dem Glauben, im Netz mit ihrem echten Namen am besten zu fahren, sind Jugendliche nicht allein. Im Gegenteil: Die anonymen Tage, in denen manâ um den Comic aus dem » New Yorker « zu zitierenâ im Internet noch unerkannt ein Hund sein konnte, sind längst vorbei. Die Träume von körperlosen Menschen und grenzenloser Kommunikation, die in den frühen Cyberutopien geträumt wurden, erscheinen vielmehr reichlich angestaubt. » Das Internet « , prognostizierte Sherry Turkle in » Life on Screen « von 1995 beispielsweise, » verbindet Millionen von Menschen in neuen Räumen, die unsere Denkweise, den Charakter unserer Sexualität, die Form der Gemeinschaftsbildung, ja unsere Identität verändern. « Sie war sich sicher: Das Internet würde uns alle zum Spiel mit der eigenen Identität verführen.
Heute ist von neuen Räumen und neuen Gemeinschaften keine Rede mehr. Cybersexâ jedenfalls der mit groÃen Helmen, Plastikhandschuhen und Impulselektroden an ganz bestimmten Stellenâ ist eine Fantasie geblieben. Und die groÃen Spiele mit der eigenen Identität locken auch immer weniger: » Second Life « , die virtuelle Welt, in der man beliebig viele Avatare nach seinen Wünschen gestalten kann, verzeichnet nach eigenen Angaben weltweit 680 000 aktive Userâ wobei aktiv schon bedeutet, dass die User mindestens eine Stunde im Monat auf der Seite sind. Mit den Zahlen von Facebook, nach denen die Hälfte der User mehrmals täglich auf ihre Profilseiten zugreifen, ist das kein Vergleich.
Heute wird Identifizierbarkeit im Internet geschätztâ wer sucht, soll auch finden. Das gilt zum einen für den Beruf, wie der Erfolg von
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