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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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sozialen Zusammenhang, in dem kommuniziert wird– das Krankenhaus bildet zum Beispiel einen medizinischen Zusammenhang, innerhalb dessen über die Gesundheit eines Patienten gesprochen wird. Zweitens die wichtigsten Akteure, die an der Kommunikation beteiligt sind– in unserem Beispiel Arzt und Patient. Dritter Bestandteil ist die Qualität der Informationen– wird nur über Blutwerte gesprochen oder auch Persönliches? Viertens gehören zu » contextual integrity « die Übertragungswege von Informationen– ob man sich mündlich austauscht oder E-Mails schreibt.
    Laut Nissenbaum können wir erwarten, dass in einem Kommunikationskontext diese vier Bestandteile nicht ohne unsere Zustimmung verändert werden. Geschieht dies trotzdem, werden der Kommunikationskontext und damit auch unsere Privatsphäre verletzt. Um in unserem Beispiel zu bleiben: Wird zu einem Patientengespräch plötzlich ein Vertreter der Pharmaindustrie dazugebeten, ändert sich sowohl der soziale Zusammenhang– schließlich geht es plötzlich auch um wirtschaftliche Interessen– als auch der Kreis der beteiligten Akteure. Nach dem Konzept der » contextual integrity « kann der Patient zu Recht geltend machen, dass seine Privatsphäre verletzt wurde.
    Gleiches gilt auch für Veränderungen in den Anwendungen oder Geschäftsbedingungen von Social Networks. Können plötzlich Dritte unsere Daten einsehen oder werden Informationen an Werbekunden weitergegeben, ohne dass wir dem explizit zugestimmt haben, ist unsere berechtigte Erwartung, dass der Kommunikationskontext unversehrt bleibt, nicht erfüllt worden. Ein Verstoß gegen unsere Privatsphäre liegt vor.
    Viele Änderungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Sicherheitseinstellungen von SchülerVZ oder Facebook lassen sich nach diesem Modell als Verstöße gegen die Privatsphäre werten. Das hat noch keine rechtlichen Folgen, kann aber dazu dienen, gegen die Verstöße zu mobilisieren. Bei Facebook hat es bereits mehrere Fälle gegeben, in denen User erfolgreich gegen neue Einstellungen protestierten– zum Beispiel als das Newsfeed eingeführt wurde oder die Sicherheitseinstellungen zunächst auf » einsehbar für alle « umgestellt wurden. Statt sich der Willkür der Plattformbetreiber ausgesetzt zu fühlen, sollten User auf den Schutz ihrer Privatsphäre beharren– denn der steht ihnen auch zu, wenn sie auf SchülerVZ eine Nachricht schreiben oder ein Foto hochladen.
    Anonymität versus Pseudonymität
    Eine andere, pragmatische Möglichkeit, um seine Privatsphäre online zu schützen, ist es, Pseudonyme zu verwenden. Auf Facebook lässt sich schon beobachten, dass immer mehr User ihren Namen abkürzen oder komplett verfremden. So sollen die Datenspuren, die sie auf der Plattform hinterlassen, nicht direkt mit ihrem echten Namen verbunden und an Dritte weitergegeben werden können.
    Dirk von Gehlen kennt aber noch einen anderen Grund, warum Jugendliche im Internet Pseudonyme benutzen sollten. Der 36 -Jährige ist Mitgründer des Online-Portals jetzt.de und steht ihm bis heute als Chefredakteur vor. Ursprünglich als Tagebuch-Community für Jugendliche gegründet, ging jetzt.de 2001 online und bildete ein Social Network, noch bevor der Begriff geläufig wurde.
    Anfangs musste man sich noch bei der Redaktion bewerben, um auf der Seite ein Tagebuch starten zu dürfen. Diese Schranke fiel jedoch schnell. Heute hat jetzt.de über 150 000 angemeldete User– und bis auf die Redakteure und offiziellen Mitarbeiter tritt so gut wie niemand mit seinem vollständigen Namen auf.
    Â» Ich bin froh, dass ich nicht mit Social Networks aufgewachsen bin « , sagt Dirk von Gehlen. » Den Gedanken, dass all meine Geschmacksverirrungen aus der Jugend digital festgehalten wären, finde ich furchtbar. « Er ist deshalb ein starker Befürworter von Pseudonymen. Schließlich wäre man als junger Mensch in vielen Bereichen noch unsicher und würde im Internet seinen persönlichen Geschmack, aber auch sein Diskussionsverhalten austesten. » Ein pöbeliger Kommentar oder nachlässig gedrückter ›Gefällt mir‹-Button unter DJ Bobo sind meist nur Momentaufnahmen. Wenn damit aber mein Klarname verbunden ist, fällt beides immer wieder auf mich zurück. «
    Dass sich User aber oft von früherem Verhalten

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