Sie nennen es Leben
« oder » Schlampe « unter Fotos an. » Das ist heutzutage aber nicht schlimm. Das wird häufig dahergesagt « , erklärt Chiara. Was findet sie denn schlimm? Chiara überlegt kurz, dann sagt sie: » Den Freund auszuspannen, ist wirklich schlimm. « Wird Cyberbullying also völlig überschätzt?
Tatort Internet? Welche Gefahren wirklich bestehen
Die Absichten des Mannes mit der 13 -Jährigen könnten nicht klarer sein. Er hat sich extra freigenommen, um aus Berlin nach München zu seiner Chat-Bekanntschaft zu fahren. Online haben sie sich über » Germanyâs Next Topmodel « unterhalten, jetzt will der Mann mit dem Mädchen ein paar Fotos machen. Rote Stilettos hat er dafür mitgebracht. Ein Hotelzimmer ist gleich um die Ecke angemietet. Doch noch im Restaurant kommt es zur Enttarnung: Der Mann hat nicht mit einer Minderjährigen gechattet, sondern mit der Journalistin Beate Krafft-Schöning. Fünf Monate später ist der Mann grob gepixelt in der Sendung » Tatort Internet « zu sehen.
Wenige Fernsehsendungen haben in den vergangenen Jahren für so viel Wirbel gesorgt wie » Tatort Internet « . Von Oktober bis Dezember 2010 lief die Reihe auf RTL 2 . Flankiert von einer Kampagne mit » Bild « -Zeitung und » Stern « trat Stephanie zu Guttenberg, Vorsitzende des Kinderschutzvereins » Innocence in Danger « und Ehefrau von Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, medienwirksam in der ersten Sendung auf.
Die diffusen Ãngste, die der Titel der Sendung beschwor, wurden dabei weiter geschürt. Das Internet erschien als entgrenzte Kontaktbörse für Pädophile: Ein Lockvogel gab sich online als 13 -Jährige Leila oder Julia aus und flirtete so lange mit interessierten, erwachsenen Männern, bis man sich für ein Treffen im echten Leben verabredete. Dort warteten dann Beate Krafft-Schöning und das Kamerateam auf die Männer. Sie filmten die mutmaÃlichen Täter bei der Konfrontation und übergaben das Material in mehreren Fällen an die Polizei.
Ziel der Sendung war es nach eigenen Angaben, die Politik dazu zu bringen, bereits die Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen im Internet unter Strafe zu stellen. Dabei gibt es bereits seit April 2004 ein Gesetz, dass eben dieses Vorgehen ahndet. Auch sonst nahmen es die Produzenten der Sendung, die Münchner Diwafilm, nicht sehr genau mit den Fakten: Erst wurde nicht erwähnt, dass 80 bis 90 Prozent aller Missbrauchsfälle im erweiterten Umfeld der Kinder stattfindenâ es also Eltern, Geschwister, Verwandte und Freunde der Familie sind, die sich an den Kindern vergehen und die dafür keine digitalen Komplizen brauchen. Als Reaktion auf die wachsende Kritik in den Medien erklärte man dann, dass das Internet mittlerweile ein so wichtiger Bestandteil des Alltags von Kindern wäre, dass es nun auch zum engeren sozialen Umfeld gehören würde.
Als » Tatort Internet « nach zweieinhalb Monaten Sendezeit auslief, hinterlieà die Show einen Trümmerhaufen: Der Ruf der Produktionsfirma Diwafilm war ramponiert; Stephanie zu Guttenbergs Verein » Innocence in Danger « , der in der Sendung prominent platziert worden war, stand wegen seiner undurchsichtigen Finanzierung in der Kritik; die Journalistin Beate Krafft-Schöning, die als Lockvogel agiert hatte und die Konfrontationen mit den mutmaÃlichen Tätern durchgeführt hatte, fühlte sich von den Sendungsmachern so getäuscht, dass sie schlieÃlich nur noch über Anwälte mit ihnen kommunizierte. Und die Ãffentlichkeit war polarisiert statt informiert.
Tatsächlich sind sexuell motivierte Kontaktaufnahmen im Internet verbreitet. Knapp ein Fünftel aller User zwischen 9 und 16 Jahren in Deutschland hat laut » EU Kids Online « innerhalb des vergangenen Jahres eine sexuelle Botschaft im Internet erhalten oder gesehen. Das ist etwas mehr als der europäische Durchschnitt, der bei 15 Prozent liegt. Ob hinter den Botschaften Erwachsene oder andere Kinder steckten, wurde nicht gefragt.
Was die Studie allerdings ergab: deutsche User erzielten auch beim Versenden und Veröffentlichen sexueller Botschaften überdurchschnittliche Werte. Fünf Prozent der Befragten gaben an, so etwas schon selbst gemacht zu haben. AuÃer den schwedischen und den tschechischen Usern ist in Europa in diesem Bereich keiner aktiver als die deutschen.
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