Sie nennen es Leben
Dafür gibt es aber kaum Anhaltspunkte. Wie die Studie » EU Kids Online « gezeigt hat, werden deutsche Jugendliche im Netz zum Beispiel unterdurchschnittlich häufig gemobbt.
Grund zur Entwarnung gibt es aber nicht. Die statistische Verteilung sagt nämlich nichts darüber aus, wie schlimm es für den Einzelnen ist, wenn er über SchülerVZ gemobbt wird oder ein Pornovideo geschickt bekommt. Deutsche Kinder und Jugendliche sind zum Beispiel alles andere als abgebrüht, wenn es um sexuelle Darstellungen geht. Laut » EU Kids Online « reagieren sie deutlich verstörter als ihre europäischen Altersgenossen, wenn sie die entsprechenden Clips oder Bilder zu sehen bekommen. Ãber die Hälfte empfand die Erfahrung als unangenehm, der europäische Schnitt liegt bei 36 Prozent. Auch Marks Beispiel zeigt: Manchen kann schon die Werbung für eine Kontaktbörse stören.
Ãber Cybermobbing lässt sich deshalb wenig Allgemeingültiges sagen. Das hängt auch damit zusammen, dass unter dem Begriff » Cybermobbing « eine riesige Bandbreite an Handlungen zusammengefasst wird. Die US-amerikanische Erziehungswissenschaftlerin Nancy Willard unterscheidet zwischen acht verschiedenen Ausprägungen:
Flaming: Beleidigungen und Beschimpfungen, die meist in öffentlichen Bereichen wie auf Profilseiten oder Pinnwänden in Social Networks geäuÃert werden;
Harassment: Das wiederholte und zielgerichtete Bedrängen eines Users;
Denigration: Das Herabsetzen und Verleumden eines Users durch Kommentare, Bilder oder Videos;
Impersonation: Das Auftreten unter falscher Identität, um jemanden boshaft zu täuschen;
Outing and Trickery: Willentliche Verletzung der Privatsphäre, um jemandem zu schaden;
Exclusion: Bewusste Ausgrenzung eines Users aus einem Bekannten- oder Freundeskreis;
Cyberstalking: Wiederholte Belästigung und Verfolgung eines Users;
Cyberthreats: Die offene Androhung von Gewalt über das Internet.
Schon an diesem kurzen Ãberblick zeigt sich, was für ein komplexes Phänomen Cybermobbing ist. In Studien wird aber häufig nur ein Teil dieser Aspekte abgefragt. Daher fallen auch die Forschungsergebnisse sehr unterschiedlich aus und lassen sich schwer vergleichen. Statt allgemeingültiger Aussagen versammelt dieses Kapitel deshalb einzelne Beobachtungen und Erklärungenâ die in der Summe trotzdem einen guten Ãberblick vermitteln, welchen Gefahren Kinder und Jugendliche im Internet wirklich ausgesetzt sind.
Wer bedrängt wen im Netz?
Die Schwierigkeiten fangen schon beim Begriff » Cybermobbing « an. Mobbing deutet an, dass es sich bei den Tätern um einen » Mob « , also eine gröÃere, eher anonyme Gruppe handelt. Tatsächlich werden Ãbergriffe häufig nur von einer einzelnen Person oder kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen begangen. Experten sprechen deshalb von Bullying beziehungsweise Cyberbullying statt Mobbing.
Als » Bully « bezeichnet man eine Person, die andere beleidigt, bedrängt, bedroht und/oder ihnen körperlichen Schaden zufügt. Bullying unter Schülern ist ein Problem, das erst im Verlauf der 1970 er Jahre bekannt wurde. Der schwedische Psychologe Dan Olweus verfasste damals die ersten Studien dazu, wie sich Schüler gegenseitig bedrängen und belästigen. Von ihm stammen auch die wichtigsten Erkenntnisse und Definitionen. Er grenzte Bullying zum Beispiel von vereinzelten Ãbergriffen ab. Erst wenn die Schikanen über einen längeren Zeitraum andauern, sie mit Absicht passieren und die Täter ihren Opfern nachhaltig überlegen sind, könne man von Bullying sprechen.
Wann jemand zum Opfer und wann zum Täter wird, lässt sich nicht vorhersagen. Ein paar Indikatoren gibt es allerdings: Die Täter sind insgesamt positiver gegenüber Gewalt eingestellt und haben bereits persönlich erlebt oder beobachtet, dass gewalttätiges Handeln belohnt wird. Bei Opfern herrscht oft das Gefühl vor, schwächer und minderwertiger als andere zu sein. Auffällige körperliche Merkmale wie etwa rote Haare, eine Brille oder Ãbergewicht machen einen Schüler oder eine Schülerin aber noch nicht zur Zielscheibe. Wann jemand bedrängt wird, hängt vor allem vom sozialen Kontext abâ also der Gruppe, in der sich das potenzielle Opfer bewegt. Bullying kann man deshalb auch als eine aggressive und bösartige Form der Statusverhandlung
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