Sie nennen es Leben
Jugendliche nur als Opfer von Cybergrooming darzustellen, wird der Komplexität der Lage also nicht ganz gerecht.
Wie sich schon beim Pornokonsum gezeigt hat, sind Jugendliche auch aktiv an der Verbreitung von heiklem Material beteiligt. Zum Teil finden sie die Bilder oder Videos einfach unterhaltsam und wollen sie mit ihren Freunden teilen; zum Teil verschicken sie das Material aber auch, um ihre Freunde bewusst zu schocken und sie einer Art Mutprobe zu unterziehenâ wie es Mark passiert ist, der von seinem Freund herausgefordert wurde, sich das brutale Verstümmelungsvideo anzuschauen.
Social Networks wie SchülerVZ oder Jappy haben das Problem der Online-Belästigung erkannt und bieten verschiedene SchutzmaÃnahmen an. Jugendliche können unangenehm aufgefallene User beim Netzwerk melden oder sie selbstständig blocken. Auf den Homepages finden Kinder und Eltern ausführliche Ratschläge, wie sie mit Belästigungen umgehen sollen. Für Eltern und Lehrer bietet SchülerVZ darüber hinaus eine eigene telefonische Sprechstunde zum Thema an.
Melde- und Blockfunktion sind keine Pro-Forma-Angebote. Jugendliche kennen die Optionen und nutzen sie häufig. Fast jeder der für dieses Buch Befragten berichtet, dass er schon einmal einen User gemeldet oder geblockt hat. Allerdings schwanken die Erfahrungen mit der Meldefunktion. Miriam zum Beispiel fand es blöd, dass sie bei SchülerVZ nur eine automatische Antwortmail erhielt, als sie einen User meldete. Danach sei nichts mehr passiert und das Profil des Users nicht gesperrt worden, sagt sie.
Juliane war hingegen positiv überrascht, als eine Freundin unangenehme Fotos von sich auf SchülerVZ meldete und diese sofort vom Netzwerk gelöscht wurden. » Dass sie es ohne Rückfragen gemacht haben, fand ich gut « , sagt sie.
User haben also keine Vorbehalte, sich gegen unangenehme User oder peinliche Fotos zu wehren. Das zeigen auch die Zahlen: Allein bei SchülerVZ gehen nach Angaben des Jugendschutzbeauftragten Philippe Gröschel täglich rund 1800 Meldungen ein. Allen würde nachgegangen, die Mehrheit würde sich aber als unproblematisch erweisen. » Gut 60 Prozent aller Meldungen haben mit Streitsachen zu tun, die gar keinen Bezug zu SchülerVZ haben « , sagt Gröschel. » Da geht es dann zum Beispiel um Dinge, die jemand auf dem Schulhof gesagt hat und für die er nun über SchülerVZ belangt werden soll. «
Gröschels Beobachtungen deuten noch auf einen anderen Umstand hinâ nämlich dass Online- und Offline-Kontakte eng miteinander verknüpft sind. Das gilt auch für Cyberbullying: Auch im Netz kennen sich Täter und Opfer häufig. Je nach Studie wissen bis 75 Prozent der Opfer von Cyberbullying, wer hinter den Ãbergriffen steckt. Das lässt sich aus der Logik von Bullying allgemein erklären, denn schlieÃlich finden die Ãbergriffe meist in einer klar benennbaren Gruppe statt. Den Opfern soll ein niederer Rang innerhalb dieser Gruppe zugewiesen und gleichzeitig klargemacht werden, wer ihnen überlegen ist. Dies funktioniert aber nur, wenn sich die Täter früher oder später zu erkennen geben. Anonymität spielt bei Cyberbullying deshalb eine viel kleinere Rolle als zunächst angenommen.
Raubtiere auf MySpace
Ozan hat sich vor zwei Jahren bei Netlog angemeldet. Als er seine Verwandten in der Türkei besuchte, stellte er aber fest, dass sie alle bei Facebook waren. Vor einem Jahr wechselte er schlieÃlich auch dorthin und löschte sein Netlog-Profil wenige Zeit später ganz. » Ich fand blöd, wie dort über Mädchen geredet wurde « , sagt der 14 -Jährige. Unbekannte hatten eine Netlog- » Sündenseite « aufgesetzt und Bilder einer Freundin von Ozan unerlaubt hochgeladen. » Die gröÃte Schlampe Hamburgs « und ähnliche Kommentare fanden sich auf der Seite.
Auch Ozan selbst hat schon schlechte Erfahrungen im Internet gemacht. Auf Facebook erhielt der Achtklässler an einer Stadtteilschule vor einigen Monaten eine Freundschaftsanfrage von jemandem, den er zu kennen glaubte. Als Ozan sich die Profilseite anschaute, stellte er fest, dass der User nur Bilder von Ozans eigenem Profil hochgeladen hatte. Er meldete den Fall bei Facebook, kurz darauf wurde die Seite gelöscht. » Eltern sollten uns mehr vertrauen, dass wir im Internet schon zurechtkommen « , sagt Ozan.
Wie verbreitet Fake-Profile sind,
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