Sie nennen es Leben
Folgen entstanden zwischen 1993 und 1998 , dazu kamen drei Kinofilme, diverse Computerspiele, mehrere Musicals und zuletzt eine Realserie, in der echte Schauspieler auftraten. In Deutschland zeigte das ZDF ab Oktober 1995 die erste Staffel. Der Durchbruch kam aber erst, als die Serie ab der zweiten Staffel zu RTL 2 wechselte. Hier wurde das Anime täglich um 15 Uhr gezeigtâ und » Sailor Moon « fand ein Massenpublikum in Form von Schülern, die nach dem Mittagessen einschalteten.
Schnell legte RTL 2 mit dem Jungen-Anime » Dragonball Z « nach. Und spätestens als Grundschüler auf deutschen Schulhöfen anfingen, Pokémon-Karten zu tauschen, war klar: Japanische Popkultur setzt jetzt auch in Deutschland MaÃstäbe.
Mit dieser Ãffnung hin zur japanischen Kultur hat » Sailor Moon « letztlich auch die Etablierung von Visual Kei in Deutschland befördert.
Gothic Lolitas und MP3s
Visual Kei ist Mitte der 80 er Jahre in Japan entstanden. Damals gründete sich eine Reihe von neuen Bands wie X Japan oder Luna Sea. Das Musikgenre nannte sich J-Rock (von Japan Rock), doch von einem speziellen japanischen Sound konnte man kaum sprechen. Die meisten Bands bedienten sich bei gängigen westlichen Musikstilen wie Metal, Glamrock, Hard Rock oder Gothic und verbanden sie lediglich mit japanischen Texten.
Spektakulär waren dagegen die Outfits der Musiker: Die Haare waren lang, bunt gefärbt und wild toupiert, die Gesichter dramatisch geschminkt, in der Kleidung verbanden sich Leder, Spitze und lange Mäntel zu einem pompösen Mix.
Hier trafen die Rotzigkeit des Punk und das Stilbewusstsein der New Romantics auf die Dramatik des klassischen japanischen Kabuki-Theaters. Im traditionellen Kabuki-Theater übernehmen Männer sämtliche Rollen, auch die weiblichen. Ãberaus aufwendig herausgeputzt, bildet das Posieren der Schauspieler einen wichtigen Teil der Aufführungenâ womit das Kabuki-Theater auch zwei der wichtigsten Merkmale mit Visual Kei teilt: das Spiel mit den Geschlechterrollen und die Vorliebe fürs Posieren und Präsentieren.
J-Rock wird fast ausschlieÃlich von Männern gemacht, doch unter ihnen herrschtâ zumindest optischâ das Ideal der Androgynität. Ausgefeiltes Makeup, bei dem Augen und Wangenknochen betont werden, ist Standard. Dazu nehmen die Musiker oft lasziv-aufreizende Posen ein. Muskeln werden nicht trainiert und zur Schau gestellt, stattdessen bilden knabenhaft schlanke Körper die Norm. Jüngere Bands wie An Cafe treten komplett in Röcken und Schulmädchen-Uniformen auf. » Ich möchte mehr von Kanons hübschen Schenkeln sehen « , lautet ein schwärmerischer Kommentar zu An Cafes Bassist auf YouTube.
Visual-Kei-Superstar Mana, ehemaliger Sänger der Erfolgsband Malice Mizer (in etwa: Boshaftigkeit Elend), hat sogar für die Etablierung einer ganzen Modesparte für Frauen gesorgt: den » Elegant Gothic Lolitas « . In schwarz-weiÃen Minikleidern, die an das viktorianische England erinnern, mit dunkel geschminkten Augen und Accessoires wie schwarzen Spitzenregenschirmen präsentieren sich die Gothic Lolitas als morbide Kindsfrauen. Mit Vladimir Nabokovs Roman » Lolita « haben die » GothLolis « aber nichts gemein. Sie stilisieren sich in der Art von viktorianischen Porzellanpuppen: zerbrechlich und ein wenig bedrohlich zugleich.
Die passende Ausstattung dafür liefert Mana mit seinem Modelabel » Moi-même-Moitié « , dessen Kostüme auch übers Internet vertrieben werden. Als richtungsweisend gilt dabei das Modemagazin » Gothic & Lolita Bible « , das vierteljährlich erscheint. Wegen der groÃen Nachfrage in Europa und den USA gibt es seit 2008 auch eine englischsprachige Ausgabe.
In Deutschland kamen J-Rock und Visual Kei erst um die Jahrtausendwende an, als sich die Bands der ersten Stunde wie X Japan bereits aufgelöst hatten. Damals verbreiteten sich die ersten MP 3 -Dateien in kleineren Internet-Foren. Da Bands wie Dir En Grey oder Moi Dix Mois noch keine Lizenzverträge mit europäischen oder nordamerikanischen Plattenfirmen hatten, war der MP 3 -Tausch der einzige Weg, um als Fan im Westen an die Musik zu kommen.
Der wahre Siegeszug durch den Westen gelang Visual Kei aber erst, als zur Musik auch die Bilder kamen: Sowohl Musikvideos als auch Animes, Mangas und » Dojinshi « , sogenannte Fan-Art, sind wichtiger Bestandteil der
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