Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Wache zu ziehen und unsere erhitzten Körper abzukühlen. Über die Frage der Kühlung mussten wir uns jedoch nicht mehr lange Gedanken machen. Der Alarm der Leitstelle verhinderte jede weitere Überlegung. »Verkehrsunfall, Person unter Wasser«, rauschte es über den Äther. Ich bestätigte den Alarmempfänger, Lenny startete den Motor und drückte beim Hinausfahren aus der Garage auf den Funksender, der das Tor wieder hinunterließ.
Noch bevor wir am Ort des Geschehens eintrafen, sahen wir die Wiederbelebung im Gras neben dem Wagen, der auf dem Dach lag. Wasser lief heraus. Auf- und abschwellende Sirenen waren zu hören. Vermutlich ein Feuerwehralarm.
Unser Ablauf in dieser Situation war klar geregelt. »ACLS« hieß die Zauber-Abkürzung und das Tor zur erfolgreichen Lebensrettung. »Advanced Cardiac Life Support«. Ein Wiederbelebungsalgorithmus, in dessen Rahmen jeder einzelne Handgriff vorgeschrieben ist. Algorithmen vereinfachen einen Einsatzablauf, weil jeder Retter genau weiß, was in welchem Moment zu tun ist – unabhängig davon, aus welchem Land er kommt. Theoretisch könnte so ein Retter aus Hamburg mit einem Retter aus Zürich zusammenarbeiten. Und zwar ohne, dass die beiden sich je vorher begegnet wären.
Beim Ertrinken kommt es nach dem willkürlichen Anhalten der Luft durch den Anstieg der Kohlendioxidkonzentration im Blut zunächst durch den einsetzenden Atemreflex zu ein bis zwei tiefen Atemzügen. Das einströmende Wasser führt zu starkem Hustenreiz und reflexartigem Verschluss der Stimmritzen. Der Sauerstoffmangel bewirkt Streckkrämpfe. Irgendwann tritt dann der Herzstillstand durch Sauerstoffmangel ein.
Der Notarzt hatte Bernd bereits einen Beatmungsschlauch in den Hals geschoben, als ich die Defibrillationselektroden auf den abgetrockneten Oberkörper aufklebte. Der Monitor zeigte eine Nulllinie. Wir machten weiter, legten einen venösen Zugang und gaben Bernd darüber Adrenalin, während der elektronische Absauger im Hintergrund brummte.
» Was zum Teufel ist passiert?«, fragte der Notarzt einen der Polizisten.
»Der kam uns viel zu schnell entgegen und flog in der Kurve aus der Spur.«
»Und dann?«
»Er rutschte mit seiner Karre in den Bach. Wir haben ihn mit ’nem Gabelstapler rausgewuchtet.«
»Wie lange war er unter Wasser?«
»Keine Ahnung«, antwortete der erste Cop.
»Ich schätze einige Minuten«, sagte der Zweite.
Zeitschätzungen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Wer selbst einmal in eine akute Notfallsituation gekommen ist, wird das wissen. Selbst Minuten kommen einem da vor wie eine Ewigkeit. Ich kam selbst einmal 30 Sekunden nach einem Verkehrsunfall an die Einsatzstelle – privat, ohne Dienstkleidung und ohne meinen großen mächtigen Rettungswagen mit all seinen medizinischen Finessen. Im Protokoll der Leitstelle hatte ich mir später den Zeitverlauf angesehen. Vom Eingang meines Notrufes bis zum heiß ersehnten Eintreffen des Rettungswagens waren lediglich 16 Minuten vergangen. Wenn man Hilfe erwartet, treten eine seltsame Leere und das Gefühl des Nichtweiterkommens auf. Wie in Freddys New Nightmare tritt man wie mit Kaugummi festgeklebt auf der Stelle, kommt nicht voran und sieht die Felle des polytraumatisierten Opfers davonschwimmen. Man sucht ständig mit Blicken die Umgebung nach Hilfe ab. Es kommt aber niemand.
Nach einer dreiviertelstündigen Reanimation hatte Bernd Merten wieder einen Puls. Wir brachten ihn daraufhin ins nahe gelegene Krankenhaus, wo er noch einige Wochen in Narkose lag. Lange Zeit wusste niemand, ob er überhaupt je wieder aufwachen würde. Die Geräte in dieser Zeit nicht abzuschalten und die Behandlung einzustellen war die Entscheidung der Ärzte, die keinen Angehörigen dazu befragen konnten. Man stellte zudem den Bruch eines Halswirbels fest, der beim Überschlag des Wagens passiert sein musste.
Einige Monate später bekamen Lenny und ich während des Mittagessens in der Kantine unseres Krankenhauses ein Gespräch zweier Mediziner mit. Es ging offenbar um Bernd. Der Wirbelbruch war anscheinend gut verheilt. Und Bernd hatte durch den Sauerstoffmangel nur ein geringes neurologisches Defizit entwickelt. Das hieß, dass er seitdem Wortfindungsstörungen hatte und sein rechtes Bein beim Gehen nachzog. Trotzdem konnte er an diesem Tag seinen zweiten Geburtstag feiern. Hätten die Polizisten diesen Unfall nicht beobachtet, hätte ihn niemand mit diesem Gabelstapler aus dem Bach ziehen können. Und niemand hätte Bernd
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