Sie sehen aber gar nicht gut aus!
sprechen.«
»Sie sind aber in der Rettungsleitstelle.«
»Ach so.«
»Sie können einen Krankenwagen haben, aber keine Emma.«
»Seid ihr nicht zu Hause?«
»Noch einmal: Sie sind in der Rettungs-leit-stelle.«
»Ich wollt bloß sagen, dass ich morgen einen Schweinsbraten mache.«
»Alles klar. Dann machen Sie für mich bitte einen mit.«
Ich legte auf.
Gerade ältere Menschen besitzen oft Telefone, die mit großen, auffälligen Kurzwahltasten ausgestattet sind. Taste eins ist dann die Emma, Taste zwei der Notarzt … Manchmal werden aber beide Tasten verwechselt – wie im Fall der Oma. Aber auch der folgende Anrufer sorgte bei uns für heiteres Gelächter.
»Rettungsleitstelle, guten Abend.«
»Hallo, die Antwort ist ›Kenan, der Abenteurer‹.«
Pause. Ich versuchte zunächst, die Worte des Anrufers irgendwie in ein plausibles Notrufraster zu packen. Doch es gelang mir nicht.
»Äh, bitte – was ist los?«
»Oh ... da bin ich wohl vollkommen verkehrt ...«
»Scheint so.«
»Entschuldigung, da muss ich absolut falsch sein. Auf Wiederhören.«
»Auf Wiederhören.«
Ich legte den Hörer auf. Hoffentlich hatte der Anrufer beim nächsten Mal mehr Glück und konnte sein Lösungswort doch noch loswerden. Ein Zahlendreher war vermutlich dafür verantwortlich gewesen, dass der Mann nicht beim örtlichen Radiosender, sondern bei uns in der Rettungsleitstelle herausgekommen war.
Eine andere, ebenfalls etwas ältere Anruferin wollte einmal lediglich wissen, ob »heute der 23. oder der 24. Januar« sei. Als ich ersteres Datum bestätigte, sagte die Dame nur »Gott sei Dank!« und legte auf.
Und dann war da noch die Anruferin, die ankündigte, sich umbringen zu wollen, da ihr Freund sie verlassen habe. »So ein Quatsch«, dachte ich damals, »so etwas gibt es doch eigentlich nur im Film.« Ein Beziehungsdrama, das die Anruferin auf dem Dach eines Hochhauses austrug. Und ich befand mich in der Rolle des Telefonisten, der im Film die Anruferin durch heldenhaft eloquenten Einsatz zur Nennung ihres Aufenthaltsortes bringt und sie durch Griffe in die psychologische Trickkiste letztlich davon überzeugt, nicht zu springen.
Wenn man einen derartigen Job macht, stellt man sich solche Situationen natürlich manchmal vor. Man geht dann aber meist davon aus, jederzeit Herr der Lage zu sein und das Vorhaben des Selbstmörders durch geschickte Fragen umlenken zu können. Da ich in der Leitstelle kurz nach meinem Einstieg einige erfolgreiche Gespräche mit Anrufern geführt hatte, fühlte ich mich fast unangreifbar und dachte, dass niemand mir und meinen Fertigkeiten widerstehen könne. Dachte ich.
Als es dann wirklich dazu kam, war es der Anruferin bitterer Ernst. Wir führten bereits eine Zeit lang einen Dialog, doch bis dato hatte ich noch nicht herausfinden können, wo sie sich befand. Sie hatte sich über ihr Mobiltelefon gemeldet, und damals hatte man in der Leitstelle noch keine Möglichkeit, die Nummer des Anrufers zu sehen. Es gab auch keine Zwangsfreischaltung bei unterdrückter Rufnummer. Wir mussten daher die Polizei um Handyortung bitten. Das dauerte jedoch eine Weile.
»Wie heißen Sie?«
»Martina.«
»Ich heiße Christian. Darf ich Du sagen?«
»Ja.«
»Wie alt bist du?«
»23. Seit letzter Woche.«
»Hast du gefeiert?«
»Nein.« Geschlossene Fragen waren nicht gut. Potenzielle Selbstmörder müssen reden, damit man Zeit gewinnt. Okay, offene Fragen also.
»Erzähl mir von deinem Freund.«
»Er sagt, er will nicht mehr mit mir zusammen sein.«
»Hat er auch gesagt, weshalb?«
»Nein.« Verdammt, wieder eine geschlossene Frage.
»Ich springe jetzt.«
»Blöde Kuh«, dachte ich, »kennst du nicht den Wert deines eigenen verdammten Lebens?«
»Nein, stopp. Warte! Ich habe noch eine Frage an dich.«
Insgeheim fragte ich mich, aus welchem Grund so jemand überhaupt in der Leitstelle anrief und was ich als Telefonist tun sollte, um den Sprung zu verhindern. Was erwartete der Anrufer in so einem Fall von mir? Eine Lösung? Ein Wunder? Ich hatte weder das eine noch das andere im Angebot.
Endlich konnte die Polizei Martinas Position auf einen benachbarten Ort eingrenzen. Damals funktionierte diese Ortung noch nicht so präzise, wie man sie mittlerweile durchführen kann. Heute sind die Funkzellen in Ballungsgebieten so dicht, dass man die Position eines Anrufers auf einige Meter genau bestimmen kann.
In diesem Fall kamen jedoch nur zwei Häuser infrage, die so hoch waren, dass ein Überleben
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