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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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nach einem Sprung ausgeschlossen war. Der Disponent schickte zu beiden Rettungswagen los, die kurz vor Erreichen der Einsatzstellen das Martinshorn ausschalten sollten. Ich hoffte inständig, dass wir damit richtig lagen.
    »Was erwartest du von mir?«, fragte ich Martina.
    »Keine Ahnung. Ich will, dass alles so ist wie vorher.«
    »Das geht leider nicht. Aber du hast eine Chance, dass es besser wird als vorher.«
    »Hm.«
    »Erinnere dich an die guten Zeiten.«
    »Mir ist kalt. Hier oben ist es windig.«
    »Wo bist du? Ich will dir Hilfe schicken.«
    »Ich stehe auf dem Versicherungsgebäude Luger. Der Ort heißt Ratling.«
    Treffer. Einer der Rettungswagen war richtig und bestätigte, jemanden auf dem Dach stehen zu sehen. Ich betete, dass Martina es sich anders überlegte und unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollte.
    »Martina, da unten stehen Sanitäter mit einem Rettungswagen. Kannst du sie sehen?«
    »Ja.«
    »Wenn du willst, kommen sie zu dir hinauf und bringen dir eine Decke. Möchtest du das?« Stille. »Hallo?« Martina antwortete nicht mehr und atmete nur schwer in das Mikrofon hinein.
    Dann hörte ich, wie das Handy auf dem Boden des Hochhausdaches aufschlug. Ich vernahm immer schneller werdende Schritte und das Rauschen des Windes. Kein Schrei war zu hören, als Martina über die Dachbegrenzung hinaussprang.
    Plötzlich war alles ruhig. Fassungslos lauschte ich noch einige Zeit dem Rauschen der Leitung, bevor ich auflegte und das Drama per Funkverkehr weiterverfolgen konnte. Martina war dem Rettungsassistenten des RTW genau vor die Füße gesprungen und sofort tot gewesen. Die Besatzung des Rettungswagens am Fuße des Hochhauses wurde im Anschluss an diesen Einsatz ausgetauscht. Für die Kollegen, die den Sturz mitansehen mussten, muss dies ein enormer Schock gewesen sein. Niemand kann seinen Dienst noch weiter ausüben, wenn er gerade so etwas miterleben musste.
    Ich habe sicher nichts Wesentliches falsch gemacht. Der Ausgang des Einsatzes war bereits entschieden, als ich den Telefonhörer abnahm. Martina wollte meiner Meinung nach nicht umgestimmt werden, sondern nur jemanden an ihrem Schicksal teilhaben lassen, damit es in letzter Konsequenz für sie einfacher war zu springen. Was tatsächlich in ihrem Kopf vorging, werde ich nie erfahren. Mir blieb nichts anderes übrig, als mir meine eigene Theorie zu stricken.
    Noch während meiner Zeit in der Rettungsleitstelle stellte ich mir eine Reihe an Fragen, von deren Beantwortung ich es abhängig machte, ob ich diesen Nebenjob weiterhin ausüben wollte: Kann man den Tod eines Menschen durch eine Intervention am Telefon verhindern? Kann man jemanden am Telefon wirklich davon abhalten, von einem Hochhaus zu springen? Kann man am Telefon genauso wirken, wie man es als Rettungsassistent vor Ort könnte?
    Die Antwort war speziell in Bezug auf die letzte Frage für mich ganz klar: nein.
    Zwei Jahre nach meinem Einstieg war die Zeit in der Rettungsleitstelle damit für mich vorbei. Um wirklich gut zu sein, brauchte ich den direkten Kontakt zu Patienten und Angehörigen, der mir nur im Rettungsdienst möglich war. Ein routinierter Telefonist hätte in Martinas Fall vielleicht noch etwas ausrichten können. Aber wohl auch nur dann, wenn Martina den Hauch eines Zweifels an ihrer eigenen Entscheidung gehabt hätte.

Geiselnahme
    Frank stammte aus einfachen Verhältnissen, ohne je eine großartige Chance auf Erfolg gehabt zu haben. Ohne Schulabschluss hangelte er sich von Job zu Job und hatte seit Jahren immer nur kleine Brötchen gebacken. Mal arbeitete er als Regalauffüller in einer Drogerie, dann wieder als Hilfskraft in einer Gärtnerei oder als Ausfahrer bei einem Lieferservice für Pizza und asiatisches Junkfood. Immer unsichtbar. Immer untergeordnet. Immer ganz unten. Als er vor zwei Wochen seinen Traumjob als Lagerist bei der Telekom verloren hatte, war das Fass für Frank endgültig randvoll. Er hatte seinen Abgang beschlossen und wollte diese hässliche und ungerechte Welt für immer hinter sich lassen. Aber nicht einfach so. Ein Paukenschlag sollte Franks Ende verkünden und ihm ein Denkmal setzen. Ganz Deutschland sollte sich für immer an ihn erinnern. Für ein paar Kröten hatte er sich von einem seiner heruntergekommenen Freunde daher eine Handgranate besorgt. Dann suchte er noch ein Waffengeschäft nahe der Altstadt auf, dessen Verkäufer ihm schließlich »Auf Wiedersehen und vielen Dank für Ihren Einkauf!« hinterherrief. Jetzt noch schnell mit dem

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