Sie sehen aber gar nicht gut aus!
postierten sich zwei vermummte Scharfschützen, luden ihre todbringenden Waffen, positionierten sich und rührten sich nicht mehr von der Stelle.
Mittlerweile hatte sich ein stattlicher Auflauf an Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zusammengerottet. Amüsante Szenen spielten sich dort ab. Eine ältere Frau etwa war stinksauer. »Ich muss da rein«, schimpfte sie und deutete auf das Geschäft im Erdgeschoss des abgeriegelten Hauses, »ich habe einen Massagetermin.« Ein Polizist schüttelte den Kopf. »Das geht jetzt aber nicht.« »Und warum?« »Weil es nicht geht.«
Auch eine Anwohnerin aus dem Nachbarhaus, die kurz beim Einkaufen gewesen war, kam nicht mehr zu ihrer Wohnung. »Aber wieso denn?« Die Polizisten hatten mittlerweile Routine. »Weil es nun mal nicht geht.« Punkt.
»50 Geiseln hat er in seiner Gewalt«, wusste einer.
»Ein Selbstmordkandidat wie in Amerika«, analysierte ein älterer Herr im Lodenmantel.
Und ein anderer Schaulustiger korrigierte auf 70 Geiseln.
Das Spezialeinsatzkommando hatte mit den normalen Einheiten der Polizei augenscheinlich nichts zu tun. Ich hatte den Eindruck, dass sogar die Polizisten der örtlichen Polizeiwache nichts über den SEK-Einsatz wussten. Der Rettungsdienst war ebenfalls nicht informiert worden, ob und wann ein Zugriff stattfinden würde. Auch nicht, welche Zusatzgefahren bestanden. Wäre bekannt gewesen, dass Frank eine Handgranate bei sich trug, hätte die Einsatzleitung sicher keine Einsatzzentrale in der Wohnung direkt unterhalb der Zahnarztpraxis eingerichtet. Ich habe mich später mit dem leitenden Notarzt über unsere rudimentäre interne Kommunikation unterhalten. Keiner wusste irgendwas. Immerhin hatte man dem leitenden Notarzt zugestanden, mit im Kreis der Polizeiführungsebene zu agieren. Allerdings ohne irgendein Mitspracherecht in Bezug auf Aktionen.
Auch die rettungsdienstliche Organisation war interessant. Und zwar in dem Sinn, in dem jemand sagt, das Essen schmecke »interessant«, womit er nur seine ausgeprägten diplomatischen Fähigkeiten unter Beweis stellt. Denn eigentlich gab es nur Chaos. Wir hatten keinen Vergleich zu anderen Einsätzen. Niemand wusste, was passieren würde, folglich gab es auch keinen Masterplan. Alles war improvisiert. Wir hatten zwar einen »Einsatzleiter Rettungsdienst«, doch dieser leitete nichts. Ein Lacher war zum Beispiel der Funkspruch: »Der Einsatz in der Hauptstraße heißt ab sofort ›Einsatz Hauptstraße‹«. Diese Meldung hatte genauso viel Wert wie die Lagemeldung »Verdacht auf schwere Kopfplatzwunde«. Entweder hatte ein Patient eine Platzwunde am Kopf, oder er hatte keine. Lenny meinte, nachdem er den Spruch gehört hatte, absolut richtig: »Wenn du glaubst, dieser Einsatzleiter würde einen Einsatz leiten, glaubst du auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.«
Es gibt übrigens noch viele andere lustige Zitate von diesem »leitenden« Herrn. Eines Winters war es spiegelglatt in unserem Landkreis. Niemand war in der Lage, schneller als Schritttempo zu fahren. Das wussten alle, die unterwegs waren. Nur unser Einsatzleiter nicht. Seine über Funk abgesetzte Dienstanweisung, kein Rettungsdienstfahrzeug dürfe mehr als 50 Kilometer pro Stunde fahren, wurde prompt mit der Antwort »Dann fahr doch mal 50« quittiert. Alles lachte.
Journalisten hatten inzwischen ihre Übertragungswagen aufgebaut und damit ausschließlich Probleme generiert. Mal ganz abgesehen vom Fehlergehalt der Meldungen, die zwischenzeitlich produziert worden waren, sorgten diese vor allem für Chaos beim behördlichen Funkverkehr. Die Gigasat-Anlagen der Übertragungswagen hatten scheinbar eine so hohe Sendeleistung, dass unser Rettungsdienstfunk nicht mehr durchdrang. Die Polizei machte daher kurzen Prozess und begrenzte die journalistische Pressefreiheit. So eine Entscheidungsfreudigkeit hatte ich bei Polizisten schon lange nicht mehr gesehen. In diesem Fall war es jedoch nicht weiter verwunderlich, denn die Polizei funkte mit gleicher Technik wie wir in unseren Rettungswagen. Das hieß, wenn die journalistischen Gigasat-Anlagen in Betrieb waren, gab es keinen Funkverkehr zwischen Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehr.
15.45 Uhr. Wir hatten noch immer nichts zu essen gehabt. Doch endlich tat sich etwas – die erste Geisel verließ gerade das Haus.
»RTW 1/83/1? Fahren Sie vor, und kümmern Sie sich um den Patienten«, knisterte es aus unserem Lautsprecher.
Der Patient stieg ein. Neugierig fragten wir
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