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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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waren hier oben noch zu hören und der Wind, der klagend um die Ecken pfiff und sich zwischen allen Ritzen hindurchdrückte. So, als ob er etwas sagen wollte. Als ob er warnen wollte. Warnen vor etwas, das sich nicht mehr zurücknehmen lassen würde. Schritt für Schritt näherte sich Bertram seinem Ziel. Er atmete tief durch und blickte über die ganze Stadt – er war frei und ignorierte den Wind.
    Ich hatte mir den Wecker eigentlich auf fünf Uhr gestellt und schreckte hoch. Nach viermaligem Drücken der Snooze-Taste war es 5.28 Uhr. Verdammt. Kein Kaffee. Nur schnell raus, Katzenwäsche und ab ins Auto. Jetzt einfach im kuschligen Bett liegen bleiben, die Decke über den Kopf ziehen und weiterpennen. Das wär’s. Vorher noch der schnelle Griff zum Telefon: »Ich melde mich krank mit Durchfall und Bauchweh.« Aber nein. Ich bin einfach nicht so, denn irgendjemand muss das immer ausbaden. Leider.
    Bis zur Mittagszeit hatten Lenny und ich fünf Einsätze abgearbeitet: eine Fingerverletzung in einer Turnhalle, einmal Grippe mit Fieber und ein Kollaps nach ehelichem Streit. Die beiden anderen Einsätze waren so banal und überflüssig, dass ich sie gar nicht erst erwähnen möchte. »Alles unwahrscheinlich dringende Indikationen für einen Rettungswagen«, spottete ich. »Komm, lass uns Essen holen.« Die Wahl fiel diesmal auf den Chinesen. Kurz bevor wir unser Ziel erreicht hatten, funkte uns die Leitstelle an.
    »RTW 1/83/1 von Leitstelle?« Wir antworteten einfach nicht. Ich war mir mit Lenny einig, dass wir zunächst einmal etwas essen wollten und unser zweiter Rettungswagen diesmal arbeiten sollte. Die hatten schließlich erst einen einzigen Einsatz gehabt. Wenn wir uns einfach nicht meldeten, würde der Disponent der Leitstelle sicher zuerst die Kollegen schicken, dachte ich. Doch Pustekuchen.
    »1/83/1?« Pause. »Ach kommt schon, Jungs. Ich hab Arbeit für euch.«
    Wir waren anscheinend wirklich die Nächsten am Einsatzort. »1/83/1 auf Empfang und schreibklar.« Pech gehabt.
    »Fahrt zum Wedge-Gebäude, ein bevorstehender Suizid. Person droht zu springen. Der Notarzt und die Polizei sind ebenfalls alarmiert.« Ende der Mittagspause, die noch gar keine gewesen war.
    Während wir vor den überdachten Eingang des sechseckigen, gläsernen Bürogebäudes rollten, drehte sich eine Menschenmenge zu uns um. Absperrbänder der Polizei verhinderten, dass die Gaffer in das Gebäude dringen konnten. Gelegentlich fiel mein Blick auf einzelne Gesichter, auf denen Gier zu erkennen war wie bei Kindern an Weihnachten, wenn es Geschenke gibt. Sie wähnten sich wohl in anonymer Sicherheit. Die meisten der Gaffer waren natürlich rein zufällig hier. Standen gerade beim Rauchen oder mussten genau jetzt mit ihrem Köter raus. Sicher hofften sie darauf, dass in ihre eigene heile Welt ein wenig vom Unglück anderer einzog, damit es wenigstens eine Spur interessanter wurde. Und fürs heimische Familienalbum wurden dann schnell noch ein paar Fotos vom Ereignis geschossen. Ein Neugieriger hatte sich sogar auf dem Dach eines Unterstandes für Fahrräder postiert. Direkt gegenüber dem Hochhaus, mit bester Sicht. Professionell bewaffnet mit einer digitalen Spiegelreflexkamera und einem Teleobjektiv, mit dem er als Sportfotograf hätte agieren können, ließ er seinem fotografischen Können freien Lauf. Hemmungslos mittendrin statt nur dabei.
    Kurze Zeit später sprachen Polizisten dem Hobbyfotografen zum Glück einen Platzverweis aus und stellten die Kamera mitsamt Speicherkarte und Objektiv sicher. Der Profigaffer hatte mindestens einen Monatslohn verloren, denn die Ausrüstung sah nicht billig aus. Die Strafe würde wohl auch kein Schnäppchen werden. Selbst schuld.
    Ein Polizist deutete auf das Dach des Wedge-Gebäudes und nickte mir zu: »Das Psychologenteam ist auch schon unterwegs.« Ich konnte den Umriss eines Menschen erkennen. Bertram stand ganz oben und wartete an der Schwelle zum Jenseits. Er war konzentriert und regungslos wie ein Turmspringer, der gleich mit eleganten Bewegungen in kühle Fluten eintauchen würde. Wenn jetzt niemand etwas unternahm, würde das Psychologenteam zu spät kommen. Während Lenny über das Funkgerät den Kontakt zur Leitstelle hielt, lief ich in das Gebäude. Der Aufzug brauchte lang, bis er mich ins oberste Geschoss gebracht hatte. Ich drückte die große rote Stahltür zum Dach auf.
    »Verpiss dich!«
    »Hey ... Stopp! Warte!« Ich kam näher. »Warte. Lass uns reden!«
    Ich bewegte mich auf

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