Sie sehen aber gar nicht gut aus!
nach dem Täter. »Der Gangster ist irgendwie komisch. Er scheint kein rechtes Ziel vor Augen zu haben«, meinte der Mann, der Diabetiker war und kurz zuvor in der Praxis gelogen hatte, dass ihm schwindlig sei und er Insulin brauche.
»Und was hat er gesagt?«
»Nur dass ich gehen darf. Er scheint kein schlechter Mensch zu sein, denn er hatte Mitleid mit mir. Keine Ahnung, was er vorhat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er da lebend rauskommt. Ich bete für ihn.«
In der Ambulanz begrüßte mich Sarah.
»Wie sieht es aus?«, fragte sie.
»Laut Aussage des Patienten von gerade eben hat er noch 14 Menschen in seiner Gewalt. Sein Ziel ist unklar.«
»Unklar?«
»Ja. Bislang hat er nur gefordert, auf dem Dach gegenüber Scharfschützen zu postieren.«
»Dann will er wohl ’nen theatralischen Abgang, oder?«
»Genauso ist es.«
Lenny und ich fuhren zurück zur Praxis. Mittlerweile wurde es dunkel. Erste Schneeflocken landeten sanft vor unserem Rettungswagen und bedeckten die Straße.
Nacheinander wurden nun 13 weitere Geiseln entlassen und durften die Praxis verlassen. Einige von ihnen brachen noch auf der Straße zusammen und entwickelten in der Folge eine posttraumatische Belastungsstörung. Das war sicher der teuerste Zahnarztbesuch ihres Lebens.
19 Uhr 50. In der Praxis war es still. Durch das Fenster war zu beobachten, wie Frank rastlos hin und her lief. Ab und zu zupfte er den Vorhang beiseite und spähte hinunter auf die Straße. Nur noch die Zahnarzthelferin befand sich in seiner Gewalt. Kalkulierbares Risiko für die Exekutive. Der Polizeichef sagte später auf der Pressekonferenz, dass Frank die letzte Geisel nicht habe gehen lassen.
20 Uhr 02. Ein Knall und dichter Rauch. Die Eingangstür flog auf. Das Schloss war zerstört. Drei vermummte SEK-Beamte stürmten mit vorgehaltenen Waffen in die Praxis und überraschten Frank. Noch kehrte er ihnen den Rücken zu, drehte sich aber schnell herum. Seine Augen trafen die des ersten Polizisten. Die nachfolgenden Szenen spielten sich im Zeitraum weniger Sekunden ab.
»Waffe weg!« Erste Warnung.
Frank hatte nicht damit gerechnet.
»Waffe weg!« Letzte Warnung.
Frank bewegte sich keinen Millimeter. Ich glaube nicht, dass Frank eine realistische Möglichkeit hatte, zu reagieren und die Waffe aus der Hand zu legen, da einer der Beamten keinen Bruchteil einer Sekunde zögerte.
Die erste Kugel schlug mit der Härte einer Dampframme durch Franks Brust. Während er zurücktaumelte, bahnte sich eine zweite Kugel ihren Weg durch seinen rechten Lungenflügel wie ein heißes Messer durch Butter. Vielleicht hatte Frank noch Zeit, Reue oder Schuldgefühle zu empfinden. Vielleicht aber auch nicht.
Eine dritte Kugel traf Franks Stirn. Der Schädelknochen zersprang, das Projektil biss sich durch den Frontallappen und weitere Teile des Gehirns. Beim Durchschneiden des zweiten Hirnnervs explodiert das Sehen in bunten Blitzen. Das Projektil verschmolz mit dem Gewebe des Großhirns und ließ Franks Bewusstsein für immer erlöschen. Während eine der großen Hirnarterien eine Blutfontäne aus der Nase schießen ließ, durchschlug die Kugel den Hirnstamm. Um 20.03 Uhr war Franks Leben zu Ende. Sein Plan war aufgegangen.
Nach dem Einsatz verließen die Leute des Sondereinsatzkommandos die Szenerie genau so, wie sie eingetroffen waren. Ungefähr 30 Sekunden nach den Schüssen eilten die vermummten Beamten aus dem Hauseingang, sprangen in die VW-Busse und fuhren von der Einsatzstelle weg. Uniformierte Polizisten führten nun die letzte Geisel hinaus, die junge Zahnarzthelferin, die ihre Beherrschung bis dahin bewahrt hatte. Sie stolperte in der Eingangstür über die Schwelle und brach erst dann in Tränen aus, weil nun der ganze Stress von ihr abfiel wie das letzte Herbstblatt von einem Baum. Das Mädchen war bis dahin nach außen ruhig geblieben und hatte sogar noch während der Geiselnahme ein Interview gegeben, als ein großer Radiosender in der Praxis angerufen hatte, um die Geisel zu befragen. Dieser Anruf hatte nicht gerade zur Entspannung der Lage beigetragen, da Frank dem Mädchen in diesem Moment seine Waffe an den Kopf gehalten hatte.
Wir packten unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Heimweg. Im Radio spielten sie das Interview ab, das bereits kontrovers diskutiert wurde. Lenny kam zu der Erkenntnis, dass es auch unter Radiosprechern völlig skrupellose Menschen gibt, die kein bisschen über eventuelle Folgen nachdenken und wohl alles für ihre
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