Sie sehen aber gar nicht gut aus!
mir über Oswalds Kindheit erzählt hast, ist total stimmig.«
»Schizophren?« Pause und tiefes Einatmen. »Ich weiß. Oswald ist vorhin im Einsatz durchgeknallt und zum Lavendelpflücken gegangen. Es war ein höllischer Verkehrsunfall, und wir haben es erst alle nicht bemerkt. Ich habe es vor allem gar nicht bemerkt. Es war so viel los. Die Hintergrundbesatzung fährt ihn in diesem Moment ins Bezirkskrankenhaus.«
»Tut mir leid.«
»Ja, mir auch. Er war echt smart, fachlich wie menschlich.«
»Wieso hat das niemand bei seiner Einstellung gemerkt?«, fragte Luisa. »Solche Menschen sind doch immer auffällig.«
Ich erzählte Luisa, dass ich Oswald schon immer irgendwie sonderbar gefunden hätte. Und dass ich nie genau hatte sagen können, warum eigentlich. Ich hatte auch schon einmal ihre Verdachtsdiagnose in Betracht gezogen, aber Schizophrenie passte einfach nicht zum Kreis der Retter, sondern nur zu dem unserer Patienten. Und deswegen hatte ich so etwas einfach ausgeschlossen.
Ich legte auf. Benzin, Öl und das verbrannte Plastik roch ich mittlerweile nicht mehr so stark. Dafür hatte ich den aromatischen Geruch von Lavendel in der Nase, der mich für immer an diese schreckliche Nacht erinnern wird.
Kein Schlaf
Zwischen zwei und sechs Uhr morgens sind die Einsätze am schlimmsten. Dann, wenn die Nacht tiefschwarz ist und die Zeit sich anfühlt, als wäre sie eine klebrige und zähflüssige Masse. Kein Mensch ist normalerweise um diese Uhrzeit in unserer Stadt auf der Straße – ein paar armselige Kreaturen ausgenommen, die als Nachtschwärmer umherziehen und etwas Glück suchen.
Unser Gegner ist milchig trüb und schwer wie Blei: Müdigkeit. Ein treuer Begleiter, der das Glitzern der Metropole wie einen LSD-Trip aussehen lässt.
Jeder Retter kommt an einem bestimmten Punkt an die Grenze seiner physischen Belastungsgrenze. Nachdem ich keine 18 Jahre mehr jung war, hatte sich meine Aufmerksamkeit längst ins Nirwana verabschiedet. Der Klang des Alarmempfängers traf mich daher mit der Wucht eines Cassius-Clay-Hiebes mitten ins Gesicht.
Es war drei Uhr morgens, und wir bogen schon bald in die Straße ein, die uns die Leitstelle über Funk mitgeteilt hatte.
»Frag noch mal nach. Da ist keine Hausnummer fünf«, schimpfte Lenny und kurbelte am Lenkrad. Ich nahm den Hörer und kontaktierte die Leitstelle.
»1/83/1, die Anruferin sagte, es muss sich um ein blaues Haus handeln, das auf dem ehemaligen Maisfeld steht.«
»Ob diesen Theoretikern da drüben klar ist, dass es hier draußen dunkel ist wie in einem Katzenpopo?« Lenny hielt seine Taschenlampe aus dem Fenster und suchte die Hausmauern ab. »Was für ein Maisfeld? Und wie zum Teufel sollen wir das sehen, wenn ein Haus draufsteht?«
Auch zum Thema »Navigation zu einem Notfallort« haben Murphys Ahnen Grundsätze aufgestellt, die sich wunderbar auf die Leitstelle übertragen lassen. Wenn nämlich ein Anrufer seine Anschrift bei der Notrufentgegennahme falsch übermittelt, wird der Disponent sie den Rettern auch so weitergeben. Aber selbst wenn der Disponent aufgrund des einzigartigen Namens einer Straße überhaupt nichts verkehrt verstehen könnte, würde er sie trotzdem fehlerhaft an den Rettungswagen durchgeben. Und die Beschreibung des Einsatzortes würde immer so umständlich wie möglich sein – wie in diesem Fall.
Das Haus war wirklich blau und befand sich entgegen der numerischen Logik einer Hausnummernvergabe versteckt im hintersten Bereich der Straße. Der tragische Einsatz zog sich leider wie Kaugummi. Eine alte Frau hatte ihren Mann verloren, der auf dem Weg zur Toilette einen Herzstillstand erlitten hatte. Die Frau war erst viel später aufgewacht, hatte sich auf die Suche gemacht und ihn leblos auf dem Parkett ihres Wohnzimmers gefunden. Außer dass wir den Hausarzt für die Leichenschau benachrichtigten, konnten wir nichts mehr ausrichten. Die Totenstarre war bereits vorangeschritten.
Wir organisierten noch jemanden vom Kriseninterventionsteam, damit die arme Frau wenigstens einen zuverlässigen Beistand für die kommenden Stunden hatte. Da auch der Kollege einige Zeit brauchte, bis er eintraf, kamen wir erst gegen sechs Uhr morgens wieder in die Wache zurück.
Um 6.15 Uhr wurde ich endlich abgelöst. Als ich die Wache verließ, roch es nach Morgen, und gleißend helles Licht schlug mir entgegen. Die Farben explodierten in meinem geplagten Neocortex, spielten verrückt und schmerzten in meinen Augen. Die Wirklichkeit sah für
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