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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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gegen Verkehrsschilder und Hauswände. Ab und zu hörte man, wie jemand das Funkgerät in irgendeinem anderen Rettungswagen auftastete, also sein Relais öffnete, wodurch ein Klacken durch den Lautsprecher unseres Funkgerätes zu vernehmen war. Der Unfall war in Sichtweite, als mein Handy klingelte. »Luisa« stand auf dem Display. Ich hob ab.
    »Sind kurz vor einem Einsatz. Ich ruf dich zurück.« Klick.
    Die Einsatzmeldung entpuppte sich als völlig falsch. Mehrere zerstörte Fahrzeuge standen umgeben vom nächtlichen Nebel auf der rechten und linken Fahrspur verteilt. Ein Auto lag im Graben. Der Baum war offenbar stärker gewesen. Das Fahrzeug war so verbeult, dass ich nicht einmal mehr erkennen konnte, um welche Marke es sich gehandelt hatte. Ein Arm baumelte aus dem zersplitterten Seitenfenster heraus, weißer Rauch stieg aus dem Motorraum auf. Kühlerflüssigkeit strömte aus einem geplatzten Schlauch und versickerte im Boden. Auf dem Beifahrersitz eines grünen Autos saß eine junge Frau, deren Augen nur halb geöffnet waren. Sie war gegen die Leitplanke geprallt und bewegte sich nicht. Die Frau blutete aus dem Schädel, der offen und verformt zu sein schien. Ihr Freund, der wohl den Wagen gefahren hatte, kniete vor der Leitplanke und röchelte. Ein abgerissener Scheibenwischerarm steckte in seinem Brustkorb, und sein Arm war unnatürlich verdreht. Ein weiterer Mensch lag mitten auf der Straße. Oder besser gesagt, das, was von diesem Menschen noch übrig war und an einen mit Stofffetzen umgebenen Klumpen blutigen Fleisches erinnerte. Es musste ein Mann sein, denn eine Frau kniete daneben, hielt ihn im Arm und wimmerte den Namen Thomas.
    Ich blieb an der Fahrertür stehen, Oswald neben mir. Mir stellten sich die Haare auf. Die Situation glich einem Systemstillstand. Nur der Motor des Rettungswagens und das Knistern defekter Aggregate waren zu hören. Erst als wir wahrgenommen wurden, begannen die Leute zu schreien.
    Mit einem Block Papier samt Stift ausgerüstet, ging ich los, suchte die Unfallstelle nach verletzten oder toten Menschen ab und notierte mir die Anzahl. Auf der Gegenspur hatten die Autos schon abgebremst, Menschen saßen dort geschützt in ihren Fahrzeugen und glotzten. Es dauerte fünf Minuten, bis ich den Kriegsschauplatz durchquert hatte und wieder zurück zum Rettungswagen lief. Während ich die letzten Meter zurücklegte und das Schreien etwas leiser wurde, stellte ich mir selbst die Frage, wie eine derartige Falschmeldung hatte entstehen können, die Oswald und mich in diese Bredouille hineinmanövriert hatte. War es vielleicht der berühmte Anrufer von der Gegenspur, der im Vorbeifahren nur einen »kleinen Auffahrunfall« aus dem Augenwinkel gesehen und diesen mit einem Handy gemeldet hatte? Ich kann es nicht genau sagen – in jedem Fall musste der Disponent irgendwie reagieren. Dies tat er entsprechend seiner Vorgabe und schickte einen Rettungswagen dorthin. Nämlich uns.
    Meine Rückmeldung an die Zentrale stellte die Sachlage erst einmal richtig: »Mindestens sieben Schwerverletzte. Sicher einige Patienten tot. Wir brauchen dringend Unterstützung.«
    Ich schnappte mir meine Ausrüstung, während Oswald neben der toten jungen Frau im grünen Wagen stand und wie hypnotisiert in das Fahrzeuginnere starrte, die Hände in den Hosentaschen, den Blick ins Leere gerichtet. Eine Lavendelblüte steckte im Haar der Frau. Diese Bilder begleiteten meinen Schlaf noch einige Zeit lang nach diesem Einsatz und verblassten nur sehr langsam. Es musste am Tag zuvor gewesen sein. Vermutlich hatte der Freund dem Mädchen diese Blüte am Vorabend des Unfalls in das Haar geflochten, weil sie Lavendel liebte. Die beiden hatten sicher einen schönen Abend voller Harmonie und Liebe verbracht und sich spät auf den Heimweg gemacht. »Nur die Guten sterben jung«, dachte ich und roch für einen Moment Lavendelduft.
    »Worauf wartest du? Auf Weihnachten?«
    »Was?«, stotterte Oswald und blickte auf.
    »Komm in die Gänge, und bring das EKG mit!« Nicht den Hauch einer Reaktion. »Oswald?«
    Ich bewegte mich auf den Mittelpunkt des Unfalls zu, der alles an Kraft um sich herum einzusaugen schien. Mehrere Patienten benötigten gleichzeitig medizinische und lebenserhaltende Maßnahmen. »Ich wollte doch nur anhalten, um nach meinem Kühlwasser zu sehen«, flüsterte ein älterer Mann, der sich eingeklemmt am Steuer eines zerstörten Kleinwagens zwischen Leben und Sterben befand. Auf einmal hatte es dann geknallt,

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