Sie sehen dich
müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um sie zu retten. Sonst machen die Mädchen mir oder sich selbst später noch Vorwürfe.«
»Das könnte ein traumatisches Erlebnis für sie werden«, hielt Cope dagegen.
»Wenn ihre Mutter tot ist, wird das für sie sowieso die Hölle. Dann sollen sie wenigstens sicher sein, dass wir alles Erdenkliche getan haben.«
Muses Handy vibrierte. Ein Blick aufs Display verriet ihr, dass Clarence Morrow dran war. Er musste noch im Leichenschauhaus sein. Das wurde aber auch Zeit.
»Es ist die Leiche von Marianne Gillespie«, sagte Clarence. »Der Exmann ist sich sicher.«
Muse trat etwas vor, so dass Cope sie sehen konnte. Als er sie ansah, nickte sie kurz. Dann sprach Cope wieder ins Mikrofon: »Außerdem haben wir eine Leiche identifiziert, zwischen deren Tod und dem Verschwinden von Mrs Cordova womöglich ein
Zusammenhang besteht. Bei der Toten handelt es sich um eine Marianne Gillespie …«
Muse wandte sich ab und sprach ins Handy: »Haben Sie Novak vernommen?«
»Ja. Ich glaube nicht, dass er was damit zu tun hat. Was meinen Sie?«
»Ich glaub das auch nicht.«
»Er hatte kein Motiv. Die Frau vom Überwachungsvideo ist nicht seine Freundin, und die Beschreibung von dem Mann im Lieferwagen passt nicht auf ihn.«
»Bringen Sie ihn nach Hause. Und geben Sie ihm etwas Zeit, damit er es seiner Tochter erzählen kann.«
»Wir sind schon unterwegs. Novak hat seine Freundin schon angerufen, damit sie die Mädchen von den Nachrichtensendungen fernhält, bis er wieder zurück ist.«
Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von Marianne Gillespie. Eigenartigerweise hatte Novak überhaupt keine alten Fotos von seiner Exfrau mehr gehabt, Reba Cordova war im letzten Frühjahr bei Marianne in Florida zu Besuch gewesen und hatte ein paar Schnappschüsse gemacht. Das ausgewählte Bild war eigentlich am Pool entstanden, und Marianne trug einen Bikini, sie hatten es jedoch zu einem Porträtfoto zurechtgestutzt. Muse war aufgefallen, dass Marianne so eine Art Sexbombe gewesen war, die allerdings schon bessere Jahre gesehen hatte. Ihre Haut war nicht mehr so glatt und straff wie sie früher wohl gewesen war, aber sie hatte immer noch dieses gewisse Etwas.
Schließlich trat Neil Cordova ans Mikrofon. Wie immer erfolgte ein Blitzlichtgewitter, das die Uneingeweihten bei solchen Veranstaltungen erschreckte. Cordova blinzelte nur ein paarmal. Er wirkte jetzt ruhiger, hatte eine Art Pokerface aufgesetzt. Er erzählte, dass er seine Frau liebte, dass sie eine wunderbare Mutter war, und dass jeder, der irgendwelche Informationen hatte, doch bitte die unten eingeblendete Telefonnummer anrufen sollte.
»Psst.«
Muse drehte sich um. Frank Tremont. Er winkte sie zu sich.
»Wir haben was«, flüsterte er.
»Schon?«
»Die Witwe von einem Polizisten aus Hawthorne hat angerufen. Sie meint, die Frau auf dem Foto lebt allein in der Wohnung unter ihr. Sie soll irgendwo aus Europa kommen und Pietra heißen.«
Bevor er sich aus der Schule auf den Heimweg machte, sah Joe Lewiston noch in sein Postfach.
Da lag schon wieder ein Flugblatt und eine Nachricht von den Lorimans mit der Bitte, ihnen bei der Suche nach einem Organspender für ihren Sohn Lucas zu helfen. Joe hatte noch kein Kind von den Lorimans unterrichtet, er kannte die Mutter nur vom Sehen. Manche Lehrer behaupteten zwar, sie stünden darüber, aber natürlich fielen allen die scharfen Mütter ins Auge. Und zu denen gehörte Susan Loriman allemal.
Auf dem Flugblatt – das war schon das dritte, das er in die Finger bekam – stand, dass am nächsten Freitag ein »Berufsmediziner« in die Schule käme, um Blutproben zu nehmen.
Bitte zeigen Sie sich großherzig, und helfen Sie uns, Lucas das Leben zu retten …
Joe fühlte sich schrecklich. Die Lorimans versuchten fieberhaft, ihren Sohn zu retten. Mrs Loriman hatte ihn angerufen und um Unterstützung gebeten: »Ich weiß, dass Sie bisher keins von unseren Kindern unterrichtet haben, aber Sie werden in der Schule von allen als Führungspersönlichkeit anerkannt«, und Joe hatte sich gedacht – egoistisch wie die Menschen nun einmal sind –, dass er dadurch vielleicht seinen durch die XY-Affäre etwas lädierten Ruf wieder aufpolieren könnte – oder zumindest sein schlechtes Gewissen beruhigen. Er dachte an sein eigenes Kind,
stellte sich vor, wie es wäre, wenn die kleine Allie krank und mit Schmerzen im Krankenhaus läge und Schläuche in ihr steckten, durch die
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