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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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diverse Flüssigkeiten in sie hinein- und wieder aus ihr herausflössen. Dieser Gedanke hätte seine Probleme eigentlich in eine angemessene Perspektive rücken müssen, tat er aber nicht. Es gab immer jemanden, dem es noch schlechter ging als einem selbst. Wirklich beruhigend war das offenbar nicht.
    Beim Fahren dachte er an Nash. Drei von Joes großen Brüdern lebten noch, er hatte aber mehr Vertrauen in Nash als in jeden von ihnen. Auf den ersten Blick hatten Nash und Cassie absolut nicht zueinander gepasst, aber gemeinsam waren sie immer als Einheit in Erscheinung getreten. Joe hatte zwar von solchen Fällen gehört, er hatte so etwas aber weder vorher noch seitdem erlebt. Und bei Dolly und ihm war es weiß Gott nicht so.
    So kitschig das auch klingen mochte, aber bei Cassie und Nash waren wirklich zwei Personen zu einer Einheit verschmolzen.
    Als Cassie starb, war das mehr als niederschmetternd gewesen. Keiner hatte damit gerechnet, dass es wirklich so weit kommen würde. Auch nach der Diagnose noch nicht. Selbst dann nicht, als die ersten Symptome der schrecklichen Krankheit auftraten. Alle hatten gedacht, Cassie würde das schon irgendwie schaffen. Als sie ihrer Krankheit dann erlag, hätte davon eigentlich niemand mehr schockiert sein dürfen. Trotzdem waren es alle.
    Joe hatte gemerkt, dass Nash sich sehr viel stärker als die anderen veränderte  – oder mit der Trennung dieser übergeordneten Einheit war einfach etwas in ihm kaputtgegangen. Die ungeheure Kälte, die Nash hinterher ausstrahlte, beruhigte Joe seltsamerweise, weil Nash für nur wenige Menschen überhaupt etwas empfand. Äußerlich warme und herzliche Menschen taten so, als ob sie für jedermann da wären, aber wenn es hart auf hart kam, so wie jetzt, wandte man sich lieber an einen starken Freund, der im Grunde seines Herzens nur seine eigenen Interessen verfolgte und sich nicht dafür interessierte, ob etwas richtig oder falsch war, sondern
einfach dafür sorgte, dass die Probleme des Menschen, der ihm etwas bedeutete, aus der Welt geschafft wurden.
    So war Nash.
    »Ich hab’s Cassandra versprochen«, hatte Nash ihm nach der Beerdigung erklärt. »Ich werd dich beschützen.«
    Bei jedem anderen hätte das absurd oder beunruhigend geklungen, aber bei Nash wusste man, was er meinte, und dass er alles tun würde, was in seiner fast übermenschlichen Macht stand, um Wort zu halten. Es war beängstigend und aufregend, und jemandem wie Joe, dem unsportlichen Sohn, den sein strenger Vater ignoriert hatte, bedeutete das sehr viel.
    Als Joe ins Haus kam, saß Dolly am Computer. Sie hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, und Joe rutschte das Herz in die Hose.
    »Wo warst du?«, fragte Dolly.
    »In der Schule.«
    »Warum?«
    »Ich wollte noch ein paar Sachen erledigen.«
    »Meine E-Mail funktioniert immer noch nicht.«
    »Ich guck mir das gleich noch mal an.«
    Dolly stand auf. »Willst du einen Tee?«
    »Ja, danke, das wäre nett.«
    Sie küsste ihn auf die Wange. Joe setzte sich an den Computer. Er wartete, bis sie das Zimmer verlassen hatte, dann meldete er sich bei seinem Provider an. Er wollte gerade seine E-Mails ansehen, als ihm auf seiner Homepage etwas ins Auge fiel.
    Auf der ersten Seite zirkulierten Fotos zu Leitartikeln. Erst kamen internationale Nachrichten, dann Lokalnachrichten, Sport und Unterhaltung. Ein Bild aus den Lokalnachrichten hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Foto war schon wieder verschwunden und durch ein New-York-Knicks-Foto ersetzt worden.
    Joe klickte auf den Zurück-Button, worauf das Foto wieder erschien.

    Es war ein Bild von einem Mann mit zwei Mädchen. Eins der Mädchen kannte er. Sie war zwar nicht in seiner Klasse, aber auf der Schule. Zumindest sah sie ihr sehr ähnlich. Er klickte darauf, um die Geschichte zu lesen. Die Schlagzeile lautete:
    FRAU AUS LIVINGSTON VERMISST
    Er sah den Namen Reba Cordova. Er kannte sie. Sie war im Bibliothekskomitee der Schule gewesen, als Joe die Lehrer dort vertreten hatte. Sie war Vizepräsidentin des Eltern-Lehrer-Verbands, und er erinnerte sich an ihr Lächeln, wenn sie am Hinterausgang stand und die Kinder in die Pause gingen.
    Sie wurde vermisst?
    Dann las er den zugehörigen Text über die mögliche Verbindung zu einer Leiche, die die Polizei vor Kurzem in Newark gefunden hatte. Als er den Namen des Mordopfers las, zog sich sein Brustkorb so fest zusammen, dass er kaum noch Luft bekam.
    Lieber Gott, was hatte er getan?
    Joe Lewiston rannte ins Bad und

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