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Gesichtsausdruck sah, fragte er: »Was ist passiert?«
»Spencer hat Selbstmord begangen«, sagte sie.
Ron stand nur da und wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
»Ich wollte, dass noch mehr dahintersteckt«, sagte sie.
Er nickte. »Ich weiß.«
»Wir werden uns immer fragen, was wir hätten tun können, um ihn zu retten. Aber vielleicht, ich weiß nicht, vielleicht hatten wir gar nicht die Möglichkeit. Wahrscheinlich haben wir was übersehen, aber womöglich hätte das überhaupt keine Rolle gespielt. Und ich hasse diesen Gedanken, weil ich das Gefühl habe, dass wir uns aus der Verantwortung stehlen – andererseits interessieren mich Schuld oder Verantwortung oder so etwas überhaupt nicht. Ich sehne mich nur zurück nach einem anderen Tag. Verstehst du? Ich hätte gern noch eine Chance. Wenn wir irgendetwas anders gemacht hätten, irgendeine Kleinigkeit, wenn wir irgendwann einmal nach links statt nach rechts abgebogen wären, oder wenn wir das Haus gelb statt blau gestrichen hätten – vielleicht wäre dann alles anders gelaufen.«
Er wartete, dass sie weiterredete. Als sie nichts sagte, fragte er: »Was ist passiert, Betsy?«
»Ich hab eben mit Adam Baye gesprochen.«
»Wo?«
»Hinten im Garten. Da, wo die Jungs früher immer gespielt haben.«
»Was hat er gesagt?«
Sie erzählte ihm von dem Streit, von den Anrufen und von Adams Schuldgefühlen. Ron versuchte, das Ganze einzuordnen.
»Wegen eines Mädchens?«
»Ja«, sagte sie.
Aber Ron wusste, dass das Ganze viel komplizierter war.
Betsy wandte sich ab.
»Was hast du vor?«, fragte er.
»Ich muss Tia Bescheid sagen.«
Tia und Mike beschlossen, sich die Arbeit aufzuteilen.
Mo holte Mike ab und fuhr mit ihm in die Bronx, während Tia sich um den Computer kümmerte. Mike erzählte Mo, was passiert war. Mo fuhr einfach und stellte keine Fragen. Als Mike fertig war, bemerkte Mo nur: »Dieser Chat. Mit CeeJay8115.«
»Was ist damit?«
Mo fuhr weiter.
»Mo?«
»Ich weiß nicht. Aber es gibt da draußen niemals achttausendeinhundertundvierzehn andere CeeJays.«
»Na und?«
»Zahlen sind nie einfach willkürlich«, sagte Mo. »Die haben immer irgendwas zu bedeuten. Man muss nur rauskriegen, was.«
Mike hätte es wissen müssen. Mo war eine Art verrücktes Zahlengenie. Dadurch hatte er damals die Zulassung für Dartmouth bekommen – perfekte SAT-Testergebnisse in Mathematik und überragende Rechenkünste.
»Irgendeine Idee, was es bedeuten könnte?«
Mo schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Dann: »Und was jetzt?«
»Ich muss mal telefonieren.«
Mike wählte die Nummer vom Club Jaguar. Zu seiner Überraschung war Rosemary McDevitt persönlich am Apparat.
»Hier ist Mike Baye.«
»Ja, das dachte ich mir schon. Wir haben heute geschlossen, aber ich habe mit Ihrem Anruf gerechnet.«
»Wir müssen uns unterhalten.«
»Das stimmt«, sagte Rosemary. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Sehen Sie zu, dass Sie so schnell wie möglich herkommen.«
Tia sah Adams E-Mails durch, aber es war wieder nichts Interessantes dabei. Seine Freunde Clark und Olivia schrieben immer eindringlicher, dass er sich endlich melden sollte, aber von DJ Huff war immer noch nichts dabei. Das beunruhigte Tia.
Sie stand auf und ging in den Vorgarten. Der versteckte Schlüssel lag da, wo er hingehörte. Mo hatte ihn vor ein paar Tagen benutzt, ihn dann aber nach seiner eigenen Auskunft wieder zurückgelegt. Mo wusste, wo der Schlüssel versteckt war, und in gewisser Weise machte ihn das zu einem Verdächtigen. Aber obwohl Tia das eine oder andere Problem mit Mo hatte, vertraute sie ihm doch hundertprozentig. Er würde dieser Familie niemals Schaden zufügen. Es gab nur wenige Menschen, die für andere durchs Feuer gingen. Auch wenn Mo das für Tia vielleicht nicht tun würde, bei Mike, Adam und Jill würde er keine Sekunde zögern.
Tia stand noch draußen, als drinnen das Telefon klingelte. Sie rannte ins Haus und meldete sich nach dem dritten Klingeln. Sie hatte keine Zeit gehabt, aufs Display zu schauen.
»Hallo?«
»Tia? Hier ist Guy Novak.«
Er klang, als wäre er gerade von einem hohen Gebäude gefallen und fände keinen sicheren Landeplatz.
»Was ist passiert?«
»Keine Sorge, den Mädchen geht’s gut. Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
»Nein, wieso?«
Er unterdrückte ein Schluchzen. »Meine Exfrau wurde ermordet. Ich habe eben ihre Leiche identifiziert.«
Damit hatte Tia wirklich nicht gerechnet. »O Gott. Mein herzliches Beileid,
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