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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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steckte noch in der Brust ihres Vergewaltigers, als Susan aus dem Motelzimmer floh.
    Sie war sehr lange gelaufen. Langsam hatte sie wieder einen klaren Kopf bekommen. Sie war zu einem Münztelefon gegangen und hatte ihre Eltern angerufen. Ihr Vater hatte sie abgeholt. Sie hatten das besprochen. Ihr Vater war am Motel vorbeigefahren. Dort hatten überall Blaulichter geblinkt. Die Cops waren schon da gewesen. Also hatte ihr Vater sie mitgenommen in das Haus, in dem sie ihre Kindheit verlebt hatte.
    »Wer wird dir glauben?«, hatte ihre Mutter sie gefragt.
    Sie hatte überlegt.
    »Was wird Dante denken?«

    Noch eine gute Frage.
    »Eine Mutter muss ihre Familie schützen. Das ist die wichtigste Aufgabe einer Frau. In dem Punkt sind wir stärker als die Männer. Wir können so einen Schlag wegstecken und weiterleben. Wenn du ihm erzählst, was passiert ist, wird dein Mann dich nie wieder so ansehen wie früher. Kein Mann wird das. Gefällt es dir, wie er dich ansieht? Er wird sich immer fragen, warum du an dem Abend ausgegangen bist. Er wird sich fragen, wie du mit dem Mann im Motelzimmer landen konntest. Vielleicht glaubt er dir, aber es wird nie wieder wie früher. Verstehst du das?«
    Also hatte sie darauf gewartet, dass die Polizei sie abholte. Aber das war nicht passiert. Sie hatte in der Zeitung etwas über den Toten gelesen  – sogar seinen Namen  –, aber ein oder zwei Tage später war schon nicht mehr darüber berichtet worden. Die Polizei hatte gemutmaßt, dass ihr Vergewaltiger bei einem missglückten Raubüberfall oder einem Drogengeschäft ermordet worden war. Der Mann war vorbestraft gewesen.
    Also hatte Susan einfach weitergelebt, genau wie ihre Mutter es ihr geraten hatte. Dante war wieder zurückgekommen. Sie hatte mit ihm geschlafen. Es hatte ihr keinen Spaß gemacht. Es machte ihr immer noch keinen Spaß. Aber sie liebte ihn und wollte, dass er glücklich war. Dante hatte sich gefragt, warum seine schöne Braut missmutiger war als früher, aber irgendwie hatte er wohl gemerkt, dass er dem lieber nicht nachgehen sollte.
    Seitdem ging Susan wieder in die Kirche. Ihre Mutter hatte Recht gehabt. Die Wahrheit hätte ihre Familie zerstört. Also hat sie ihr Geheimnis für sich behalten und Dante und ihre Kinder so geschützt. Mit der Zeit war es auch deutlich besser geworden. Manchmal dachte sie mehrere Tage lang nicht an diese Nacht. Falls Dante aufgefallen war, dass sie keinen Spaß mehr am Sex hatte, hatte er sich das nicht anmerken lassen. Außerdem bekam Susan von den bewundernden Blicken der Männer, die sie vorher so genossen hatte, jetzt Magenschmerzen.

    Jedenfalls konnte sie Ilene Goldfarb das nicht erzählen. Es hatte keinen Sinn, ihren Vergewaltiger um Hilfe zu bitten.
    Er war tot.
    »Deine Haut ist ganz kalt«, sagte Dante.
    »Mir geht’s gut.«
    »Ich hol dir eine Decke.«
    »Nein, lass, es ist alles okay.«
    Er merkte, dass sie allein sein wollte. Vor jener Nacht war das nie vorgekommen. Danach schon. Er hatte nie gefragt, was passiert war, sie nie bedrängt und ihr immer den Freiraum gelassen, den sie brauchte.
    »Wir werden ihn retten«, sagte er.
    Er ging wieder ins Haus. Sie blieb draußen und nippte an ihrem Drink. Ihre Finger spielten noch immer mit dem goldenen Kreuz. Es hatte ihrer Mutter gehört. Sie hatte es Susan auf ihrem Totenbett geschenkt.
    »Damit du für deine Sünden bezahlen kannst«, hatte ihre Mutter zu ihr gesagt.
    Damit konnte sie leben. Susan war gerne bereit, für ihre Sünden zu bezahlen. Aber ihren Sohn sollte Gott verdammt noch mal in Ruhe lassen.

37
    Pietra hörte die Autos vorfahren. Sie blickte aus dem Fenster. Eine kleine Frau ging mit entschlossenem Schritt zur Haustür. Pietra blickte aus dem anderen Fenster nach rechts und sah vier Streifenwagen, und da wusste sie Bescheid.
    Sie zögerte keinen Moment. Sie nahm ihr Handy. Im Kurzwahlspeicher war nur eine Nummer. Sie drückte darauf und hörte es zweimal klingeln.

    Nash sagte: »Was gibt’s?«
    »Die Polizei ist hier.«

    Als Joe Lewiston die Treppe wieder herunterkam, sah Dolly ihn nur einmal an und fragte: »Was ist passiert?«
    »Nichts«, sagte er, aber seine Lippen waren ganz taub.
    »Du glühst ja.«
    »Mir geht’s gut.«
    Aber Dolly kannte ihren Mann. Das nahm sie ihm nicht ab. Sie stand auf und ging auf ihn zu. Er sah aus, als ob er sich umdrehen und wegrennen wollte.
    »Was ist?«
    »Nichts, ich schwöre es.«
    Jetzt stand sie direkt vor ihm.
    »Ist Guy Novak schuld?«, fragte sie. »Hat er

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