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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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noch was gemacht? Wenn er nämlich wirklich …«
    Joe legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. Sie durchschaute ihn. Immer. Das war das Problem. Sie kannte ihn so gut. Sie hatten so wenige Geheimnisse voreinander. Aber dies war eins von ihnen.
    Marianne Gillespie.
    Sie hatte um ein Eltern-Lehrer-Gespräch gebeten und dabei die Rolle der besorgten Mutter gespielt. Sie hatte erzählt, sie habe gehört, was Joe Schreckliches zu ihrer Tochter Yasmin gesagt hatte, klang dabei aber durchaus verständnisvoll. Menschen platzten manchmal einfach mit unüberlegten Dingen heraus, hatte sie am Telefon gesagt. Menschen machten Fehler. Ja, ihr Exmann wäre fast verrückt geworden vor Wut, aber Marianne sagte, sie wäre das nicht. Sie wollte sich mit Joe zusammensetzen, sich seine Version der Geschichte anhören und in Ruhe darüber reden.
    Vielleicht, hatte Marianne vorgeschlagen, könnte man das ja doch irgendwie aus der Welt schaffen.

    Joe war extrem erleichtert gewesen.
    Sie hatten sich zusammengesetzt und geredet. Marianne hatte Mitleid gezeigt. Sie hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt. Ihr gefielen seine Unterrichtsmethoden. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, eng anliegendes Kleid und sah ihn mit schmachtenden Blicken an. Als sie sich am Ende des Gesprächs umarmten, dauerte diese Umarmung ein paar Sekunden zu lange. Ihre Lippen waren an seinem Hals. Sie atmete etwas schwer. Er auch.
    Wie hatte er nur so blöd sein können?
    »Joe?« Dolly trat einen Schritt zurück. »Was ist los?«
    Diese Verführung hatte Marianne von Anfang an als Vergeltung geplant. Wieso hatte er das nicht gemerkt? Und nur wenige Stunden, nachdem Marianne ihr Ziel erreicht hatte, sie hatten das Hotelzimmer gerade erst verlassen, war das mit den Anrufen losgegangen.
    »Ich hab ein Video von dir, du Schwein …«
    Marianne hatte heimlich eine Kamera im Zimmer installiert und drohte, das Video erst an Dolly zu schicken, dann an die Schulbehörde und dann an jede E-Mail-Adresse, die sie auf der Internetseite der Schule fand. Drei Tage lang hatte sie diese Drohung mehrmals am Tag wiederholt. Joe konnte weder schlafen noch essen. Er verlor Gewicht. Er hatte sie angefleht, das nicht zu tun. Zwischendurch sah es so aus, als ob Marianne die Lust verloren hätte oder dieser Rachefeldzug sie ausgelaugt hätte. Sie hatte ihn angerufen und gesagt, sie wüsste nicht, ob sie das Video wirklich weitergeben würde.
    Sie hatte ihn leiden sehen wollen. Und er hatte gelitten. Vielleicht reichte ihr das.
    Am nächsten Tag hatte Marianne eine E-Mail an die Internetadresse seiner Frau in ihrer Schule geschickt.
    Diese verlogene Hure.
    Zum Glück guckte Dolly nicht allzu oft in ihre E-Mails. Joe kannte ihr Passwort. Als er die E-Mail mit dem Anhang gesehen
hatte, war er vollkommen ausgeflippt. Er hatte sie gelöscht und Dollys Passwort geändert, so dass sie nicht mehr an ihre eigenen E-Mails herankam.
    Aber wie lange konnte er das so weitermachen?
    Er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte niemanden, mit dem er darüber sprechen konnte, keiner würde ihn verstehen und sich bedingungslos auf seine Seite stellen.
    Und dann war ihm Nash eingefallen.
    »O Gott, Dolly …«
    »Was ist?«
    Er musste einen Schlussstrich ziehen. Nash hatte jemanden umgebracht. Er hatte Marianne Gillespie tatsächlich ermordet. Und diese Cordova wurde vermisst. Joe versuchte, es zu verstehen. Vielleicht hatte Marianne Reba Cordova eine Kopie geschickt. Das wäre logisch.
    »Joe, sag mir, was los ist.«
    Was Joe getan hatte, war schlecht gewesen, aber Nash in die Sache hineinzuziehen hatte sein Verbrechen vertausendfacht. Er wollte Dolly alles erzählen. Er wusste, dass das seine einzige Chance war.
    Dolly sah ihm in die Augen und nickte. »Schon okay«, sagte sie. »Erzähl mir einfach, was los ist.«
    Aber dann passierte etwas Komisches mit Joe Lewiston. Der Überlebenstrieb schaltete sich ein. Ja, was Nash getan hatte war schrecklich, aber warum sollte er da noch einen draufsetzen, indem er ehelichen Selbstmord beging? Warum sollte er es noch schlimmer machen, indem er Dolly schockierte und womöglich seine Familie zerstörte? Schließlich war das Nashs Schuld. Joe hatte nicht verlangt, dass er so weit ging  – schon gar nicht, dass er jemanden ermordete! Er war davon ausgegangen, dass Nash Marianne vielleicht Geld für das Video anbieten würde, ihr vielleicht irgendeine Abmachung vorschlug oder sie schlimmstenfalls ein bisschen

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