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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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nach ihr. Daraufhin hatte sie sich gezwungen, die ganze Sache zu vergessen.
    Was ihr natürlich nicht gelungen war. Sie war nie ganz darüber hinweggekommen, trotz des Versprechens ihrer Mutter: »Das ist am besten für dich. Leb einfach weiter. So schützt du deine Familie …«
    Sie hoffte, dass Ilene Goldfarb das Geheimnis für sich behielt. Es gab niemanden mehr, der die Wahrheit kannte. Ihre Eltern hatten Bescheid gewusst, aber sie waren inzwischen gestorben  – Dad an einer Herzkrankheit, Mom an Krebs. Als sie noch lebten, hatten sie nie über das, was passiert war, gesprochen. Nicht ein einziges Mal. Sie hatten sie nie zur Seite genommen und umarmt, hatten nie angerufen und gefragt, wie es ihr ging oder wie sie zurechtkam. Nicht einmal ihre Mundwinkel hatten gezuckt, als Dante und sie ihnen drei Monate nach der Vergewaltigung erzählt hatten, dass sie Oma und Opa werden.
    Ilene Goldfarb wollte nach dem Vergewaltiger suchen und feststellen, ob er ihnen helfen würde.
    Aber das konnte er nicht.
    Dante war mit ein paar Freunden für ein paar Tage nach Las Vegas gefahren. Susan hatte das nicht gefallen. Sie steckten damals in einer schwierigen Phase ihrer Ehe, und gerade als Susan sich fragte, ob sie womöglich zu jung geheiratet hatte, beschloss ihr Mann, ein paar Tage mit den Jungs wegzufahren, zum Glücksspiel und wahrscheinlich auch, um ein paar Stripteasebars aufzusuchen.

    Vor diesem Abend war Susan Loriman nicht religiös gewesen. Als sie klein war, waren ihre Eltern jeden Sonntag mit ihr in die Kirche gegangen, aber davon war nichts hängen geblieben. Als sie sich dann zu einer Schönheit entwickelte, hatten ihre Eltern sie streng bewacht. Natürlich hatte Susan irgendwann dagegen aufbegehrt, aber nach dieser fürchterlichen Nacht war sie wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt.
    Sie war mit drei Freundinnen in eine Bar in West Orange gegangen. Die anderen Mädchen waren Singles, und für diesen einen Abend, an dem ihr Mann sich nach Las Vegas verdrückt hatte, wollte sie auch ein Single sein. Wenn auch nicht so ganz. Schließlich war sie verheiratet  – im Großen und Ganzen auch glücklich  –, aber ein kleiner Flirt konnte schließlich nicht schaden. Also hatte sie mitgetrunken und sich benommen wie die anderen Mädchen. Aber sie trank viel zu viel. Es schien immer dunkler zu werden in der Bar, und die Musik spielte immer lauter. Sie hatte getanzt. Um sie herum hatte sich alles gedreht.
    Im Laufe des Abends hatten ihre Freundinnen sich ein paar Typen gesucht und waren nach und nach mit ihnen verschwunden. So war die Gruppe immer kleiner geworden.
    Hinterher hatte sie etwas über K.O.-Tropfen und Vergewaltigungsdrogen gelesen und sich gefragt, ob die auch mit im Spiel gewesen waren. Sie konnte sich an kaum etwas erinnern. Plötzlich hatte sie neben einem Mann im Auto gesessen. Sie wollte aussteigen, aber er hatte sie nicht gelassen. Irgendwann hatte er ein Messer gezogen und sie in ein Motelzimmer gezerrt. Er hatte sie furchtbar beschimpft und vergewaltigt. Als sie sich wehrte, hatte er sie geschlagen.
    Der Horror schien gar kein Ende zu nehmen. Sie wusste noch, dass sie gehofft hatte, dass er sie hinterher umbrachte. So schlimm war es gewesen. Sie wollte nicht weiterleben. Sie hatte sich nach dem Tod gesehnt.
    Auch an das Folgende erinnerte sie sich nur sehr verschwommen.
Irgendwann war ihr eingefallen, dass sie einmal gehört hatte, man sollte sich nicht wehren, sondern den Vergewaltiger in Sicherheit wiegen und in dem Glauben lassen, man hätte aufgegeben und er gewonnen. Das hatte sie dann auch gemacht. Als er nicht aufpasste, hatte sie eine Hand frei bekommen, seinen Hoden gepackt und mit aller Kraft zugedrückt. Sie hatte ihn festgehalten, die Hand umgedreht, und er hatte geschrien und sie losgelassen.
    Susan hatte sich vom Bett gerollt und das Messer auf dem Boden gesehen.
    Ihr Vergewaltiger wälzte sich auf dem Boden. Er wollte nicht mehr kämpfen. Sie hätte die Tür öffnen und um Hilfe rufen können. Das wäre das Klügste gewesen. Aber das tat sie nicht.
    Stattdessen hatte Susan dem Vergewaltiger das Messer tief in die Brust gestochen.
    Sein Körper wurde steif. Er hatte furchtbar gezuckt, als die Klinge ins Herz eindrang.
    Und dann war ihr Vergewaltiger tot.
    »Du bist ja völlig verspannt, Schatz«, sagte Dante jetzt, elf Jahre später, zu ihr.
    Dante fing an, ihr die Schultern zu massieren. Sie ließ ihn gewähren, obwohl es ihr keine Entspannung brachte.
    Das Messer

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