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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Rauchen aufgehört hatte. Er wollte nicht, aber seine Frau war schwanger, und das hatte er ihr versprochen: kein Rauch  – auch nicht aus zweiter Hand  – in der Nähe des Babys. Er dachte an Mike Baye und seine Probleme mit den Kids. Anthony mochte Mike. Harter Bursche, obwohl er in Dartmouth gewesen war. Zog nicht den Schwanz ein. Manche Typen tranken sich Mut an, wollten ein Mädchen oder einen Freund beeindrucken. Und manche Typen waren einfach nur dumm. Bei Mike war das was anderes. Der hatte einfach keinen Rückwärtsgang. Er war ein anständiger Kerl. So komisch das auch klang, seit er ihn gesehen hatte, wollte Anthony auch anständiger werden.
    Anthony sah auf die Uhr. Noch zwei Minuten Pause. Mann, er wollte sich wirklich eine anstecken. Der Tagesjob wurde nicht so gut bezahlt wie die Nachtschicht, aber dafür war er das reinste Kinderspiel. Er war kein großer Anhänger von Mystizismus und solchem Quatsch, aber der Mond machte ganz eindeutig etwas mit den Menschen. Prügeleien gediehen am besten im Schutz der Nacht, und bei Vollmond wusste er schon vorher, dass er alle Hände voll zu tun haben würde. Mittags waren die Typen einfach lockerer drauf. Sie setzten sich ruhig hin, guckten einfach zu oder aßen klaglos etwas vom miesesten »Büfett«, das die Menschheit je gesehen hatte  – Zeug, dass nicht einmal Michael Vick einem Hund zum Fraß vorwerfen würde.
    »Anthony? Kommst du wieder rein?«
    Er nickte und wollte schon wieder zur Tür gehen, als er einen
Jugendlichen mit einem Handy am Ohr vorbeihasten sah. Er hatte den Jugendlichen höchstens eine Sekunde lang gesehen und dabei nicht einmal einen freien Blick auf sein Gesicht gehabt. Aber ein paar Schritte hinter ihm folgte noch ein Jugendlicher. Der trug eine Jacke, eine Schulmannschaftsjacke.
    »Anthony?«
    »Ich bin gleich zurück«, sagte er. »Muss mal eben was gucken.«

    An der Eingangstür seines Hauses gab Guy Novak Beth einen Abschiedskuss.
    »Vielen Dank, dass du so lange auf die Mädchen aufgepasst hast.«
    »Kein Problem. Hat mich gefreut, dass ich euch helfen konnte. Die Sache mit deiner Exfrau tut mir wirklich leid.«
    Was für ein Date, dachte Guy.
    Er überlegte kurz, ob er Beth je wiedersehen würde, oder ob dieser Tag sie  – was sehr gut nachvollziehbar wäre  – für alle Zeit verjagt hatte. Er hielt sich mit diesem Gedanken jedoch nicht lange auf.
    »Danke«, sagte er noch einmal.
    Guy schloss die Tür und ging an die Hausbar. Er trank nur selten, aber jetzt brauchte er etwas. Die Mädchen guckten sich eine DVD an. Er hatte nach oben gerufen, dass sie ruhig dableiben und sich den Film zu Ende ansehen sollten. So konnte Tia Jill abholen  – und Guy konnte überlegen, wie er Yasmin die Neuigkeit so schonend wie möglich beibrachte.
    Er schenkte sich einen Whiskey aus einer Flasche ein, die er wohl seit drei Jahren nicht mehr angerührt hatte. Er kippte ihn runter, spürte das Brennen in der Kehle, und schenkte sich noch einen ein.
    Marianne.
    Er erinnerte sich, wie es damals, vor so vielen Jahren, mit ihnen
angefangen hatte  – eine Sommerliebe am Meer. Sie hatten beide in den Semesterferien als Bedienungen in einem Restaurant gearbeitet. Nachdem sie gegen Mitternacht aufgeräumt hatten, waren sie mit einer Decke zum Strand gegangen, hatten sich draufgelegt und die Sterne angestarrt. Die Wellen rauschten, und der wunderbare, salzige Meeresduft hatte ihre nackten Körper umhüllt. Als sie nach den Semesterferien wieder an ihre Unis mussten  – er nach Syracuse, sie nach Delaware  – hatten sie jeden Tag telefoniert. Sie hatten sich Briefe geschrieben. Er hatte sich einen sehr alten Oldsmobile Ciera gekauft und war jedes Wochenende vier Stunden gefahren, um Marianne zu besuchen. Die Fahrt war ihm schier endlos vorgekommen. Er hatte es nicht erwarten können, aus dem Wagen zu springen und in ihre Arme zu fallen.
    Als er jetzt so im Wohnzimmer saß, schien die Vergangenheit zusammenzuschrumpfen, die Zeit spielte mit ihm  – mal schienen die mehr als zehn Jahre völlig verschwunden zu sein, dann war der alte Abstand wieder hergestellt, und plötzlich stand die Vergangenheit wieder direkt hinter ihm und tippte ihm auf die Schulter.
    Guy trank einen kräftigen Schluck Whiskey. Die Wärme tat ihm gut.
    Gott, er hatte Marianne wirklich geliebt  – und sie hatte das alles weggeworfen. Und wofür? Für so ein Ende? Um grausam ermordet zu werden? Das Gesicht, das er am Strand so zärtlich geküsst hatte  –

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