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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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eigentliche Arbeit fehlte ihr  – die Mordermittlungen. Also mischte sie sich ein, wo sie nur konnte, vor allem wenn ein ausgewiesener Trottel wie Frank Tremont den Fall bearbeitete.
    Die Gerichtsmedizinerin Tara O’Neill kam herüber und scheuchte die Streifenpolizisten zur Seite.
    »Heilige Scheiße«, sagte O’Neill.
    »Tolle Reaktion, Doc«, sagte Tremont. »Ich brauche sofort ihre Fingerabdrücke, damit ich sie durch die Datenbanken jagen kann.«
    Die Gerichtsmedizinerin nickte.
    »Ich helf dann mal bei der Befragung der Huren, und dann schnappen wir uns ein paar Anführer von den Gangs hier aus
der Umgebung«, sagte Tremont. »Falls Sie nichts dagegen haben, Boss.«
    Muse antwortete nicht.
    »Eine tote Hure, Muse. Da ist keine Schlagzeile für Sie drin. Priorität hat das bestimmt nicht.«
    »Wieso hat das keine Priorität?«
    »Hä?«
    »Sie haben gesagt, da ist keine Schlagzeile für mich drin. Das seh ich ein. Und dann haben Sie gesagt, dass das keine Priorität hat. Wieso nicht?«
    Tremont grinste. »Ach, klar doch. Mein Fehler. Eine tote Hure hat natürlich immer oberste Priorität. Wir behandeln sie genauso, als ob jemand der Frau des Gouverneurs eins übergebraten hätte.«
    »Diese Einstellung, Frank. Deshalb bin ich hier.«
    »Klar. Logisch, das wird’s sein. Soll ich Ihnen sagen, was die Leute von toten Huren halten?«
    »Moment, nicht verraten  – vielleicht so was wie: Die hat’s ja auch drauf angelegt?«
    »Nein. Aber hören Sie gut zu, dann können Sie was lernen: Wenn man nicht tot im Müllcontainer enden will, dann dreht man im Fifth Ward keine krummen Dinger.«
    »Vielleicht sollten Sie sich das als Grabinschrift aussuchen«, sagte Muse.
    »Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich krieg diesen Perversen. Aber kommen Sie mir nicht mit Prioritäten und Schlagzeilen.« Tremont trat einen Schritt näher an sie heran, so dass sein Bauch sie fast berührte. Muse wich nicht zurück. »Das ist mein Fall. Verziehen Sie sich wieder hinter Ihren Schreibtisch, und überlassen Sie die richtige Arbeit den Erwachsenen.«
    »Oder was?«
    Tremont lächelte. »Den Ärger wollen Sie sich nicht machen, kleine Dame. Das können Sie mir glauben.«

    Er stürmte davon. Muse drehte sich wieder um. Die Gerichtsmedizinerin konzentrierte sich ganz auf das Öffnen ihres Werkzeugkoffers, als hätte sie nichts gehört.
    Muse schüttelte kurz den Kopf und kümmerte sich wieder um die Leiche. Sie versuchte, kühl zu analysieren. Das waren die Fakten: Das Opfer war eine weiße Frau. Wenn man Haut und Körperbau zugrunde legte, könnte sie um die vierzig gewesen sein, auf der Straße alterte man jedoch schneller. Tätowierungen waren nicht zu erkennen.
    Ein Gesicht auch nicht.
    Eine so extrem verunstaltete Leiche hatte Muse bisher nur einmal gesehen. Mit dreiundzwanzig hatte sie sechs Wochen lang bei der Landespolizei auf der New Jersey Turnpike gearbeitet. Ein LKW war durch die Mittelleitplanke gerast und frontal auf einen Toyota Celica geprallt. Im Toyota saß eine Neunzehnjährige, die am Ende der Semesterferien auf dem Weg zurück ins College war.
    Die Leiche sah entsetzlich aus.
    Nachdem sie das Blech entfernt hatten, mussten sie feststellen, dass die Neunzehnjährige kein Gesicht mehr gehabt hatte. Genau wie die Frau hier.
    »Todesursache?«, fragte Muse.
    »Kann ich noch nicht genau sagen. Aber der Täter muss ein absolut krankes Arschloch sein. Die Knochen sind nicht nur gebrochen. So wie die sich anfühlen, muss er sie zu kleinen Stücken zermalmt haben.
    »Wie lange ist das her?«
    »Vielleicht so zehn, zwölf Stunden. Hier ist sie nicht ermordet worden. Dafür ist hier zu wenig Blut.«
    Das war Muse auch aufgefallen. Sie untersuchte die Kleidung der Hure  – den rosa BH, den engen Lederrock, die Stöckelschuhe.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Was ist?«
    »Das passt alles nicht«, sagte Muse.

    »Was?«
    Ihr Handy vibrierte. Sie sah aufs Display. Es war ihr Boss, Bezirksstaatsanwalt Paul Copeland. Sie sah zu Frank Tremont hinüber. Er winkte kurz mit dem Finger und grinste.
    Sie meldete sich: »Hey, Cope.«
    »Was machen Sie gerade?«
    »Ich untersuche einen Tatort.«
    »Und ärgern einen Kollegen.«
    »Einen Mitarbeiter.«
    »Eine Nervensäge von einem Mitarbeiter.«
    »Aber ich bin seine Vorgesetzte, stimmt’s?«
    »Frank Tremont wird richtig Stunk machen. Der hetzt uns die Medien auf den Hals, und seine Ermittlerkollegen stachelt er auch gleich mit an. Muss das wirklich sein?«
    »Ich glaube schon,

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