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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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stellte den Rückspiegel auf sein Gesicht ein und kämmte sich die Haare. Dann fuhr er kurz mit dem Elektrorasierer übers Kinn.
    Cassandra hatte es gefallen, wenn er glattrasiert war. Nash hatte einen kräftigen Bartwuchs, so dass er um fünf Uhr nachmittags schon wieder kratzte.
    »Bitte rasier dich für mich, mein Hübscher«, hatte Cassandra mit diesem schrägen Blick gesagt, bei dem er eine Gänsehaut bekam. »Dann werde ich dein Gesicht mit Küssen bedecken.«
    Daran dachte er jetzt. Er dachte an ihre Stimme. Es tat ihm immer noch im Herzen weh. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass das sein Leben lang so bleiben würde. Mit dem Schmerz konnte er leben. Das Loch in seinem Herzen würde immer da sein.
    Er saß auf dem Fahrersitz und beobachtete die Menschen, die auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums hin und her gingen. Die lebten und atmeten, aber Cassandra war tot. Zweifellos war ihre Schönheit inzwischen verrottet. Der Gedanke war schwer zu ertragen.

    Sein Handy summte. Eine Nachricht von Pietra.
     
    Bezahlt gerade. Geht zurück.
     
    Er fuhr sich noch einmal kurz mit Zeigefinger und Daumen über die Augenlider und stieg aus. Er machte die Hecktür des Lieferwagens auf. Seinen Einkauf, einen Cosco-Scenara-5-Punkt -Kindersitz, mit 40 Dollar der billigste, den es bei Target gab, hatte er schon aus der Packung genommen. Nash sah sich um.
    Reba Cordova schob einen roten Einkaufswagen voller Plastiktüten vor sich her. Sie war etwas zerzaust, wirkte aber glücklich, wie so viele Schäfchen aus der vorstädtischen Herde. Er dachte darüber nach, ob dieses zur Schau gestellte Glück echt oder aufgesetzt war. Diese Menschen hatten, was sie wollten. Ein schönes Haus, zwei Autos, finanzielle Sicherheit, Kinder. Er fragte sich, ob alle Frauen das für ihr Glück brauchten. Dann dachte er an die Männer in ihren Büros, die den Frauen dieses Leben ermöglichten, und fragte sich, ob auch die damit glücklich waren.
    Er sah Pietra hinter Reba Cordova. Sie hielt Abstand. Nash konzentrierte sich auf die Umgebung. Ein übergewichtiger Mann mit Hippiefrisur, einem wirren Bart und Batikhemd zog sich die Jeans übers Maurerdekolletee und ging Richtung Eingang. Abscheulich. Nash hatte gesehen, wie er in seinem abgewrackten Chevrolet Caprice ein paar Runden gedreht und einen Parkplatz näher am Eingang gesucht hatte, der ihm vielleicht zehn Sekunden Fußweg erspart hätte. Das fette Amerika.
    Nash öffnete die Beifahrertür des Lieferwagens so weit, dass sie direkt vor der Fahrertür des Acura war. Er beugte sich hinein und fummelte am Sitz herum. Der Spiegel auf der Fahrerseite war so eingestellt, dass er sie herankommen sah. Reba drückte auf die Fernbedienung am Schlüssel, und die Heckklappe öffnete sich. Er wartete, bis sie ganz nah herangekommen war.
    »Mist!«, sagte er. Er sprach so laut, dass Reba es hören musste,
dabei aber eher in einem belustigten als verärgerten Tonfall. Dann richtete er sich auf und kratzte sich scheinbar verwirrt am Kopf. Er sah Reba Cordova an und lächelte so wenig bedrohlich, wie es nur ging.
    »Kindersitz«, sagte er zu ihr.
    Reba Cordova war eine zierliche Frau, deren Gesichtszüge fast schon an eine Puppe erinnerten. Sie sah ihn an und nickte gutmütig.
    »Wer schreibt bloß immer diese Einbauanleitungen?«, fuhr er fort. »NASA-Ingenieure?«
    Jetzt lächelte Reba mitfühlend. »Die sind absurd, oder?«
    »Absolut. Vor ein paar Tagen musste ich Rogers Pack-n-Play -Reisebett aufbauen  – Roger ist unser Zweijähriger. Haben Sie auch so eins? Ein Pack-n-Play meine ich.«
    »Natürlich.«
    »Das soll man angeblich ganz einfach zusammenklappen und zur Seite stellen können, aber, na ja, Cassandra  – meine Frau  – sagt auch immer, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin.«
    »Mein Mann ist auch nicht besser.«
    Er lachte. Sie lachte. Ein sehr nettes Lachen, dachte Nash. Er fragte sich, ob Rebas Mann wusste, was er an ihr hatte, ob er witzig war und seine Frau mit den puppenartigen Gesichtszügen gerne zum Lachen brachte, dann lauschte und sich an dem Klang erfreute.
    »Ich trau mich ja kaum zu fragen«, sagte er, immer noch ganz der freundliche Nachbar mit gesenkten, offenen Händen, »aber ich muss Roger vom Kinderturnen abholen, und, na ja, Cassandra und mir ist Sicherheit sehr wichtig.«
    »Oh, das finde ich auch.«
    »Daher würde ich ihn nie ohne Kindersitz transportieren, und ich Trottel hab ihn im anderen Wagen vergessen, also hab ich kurz angehalten und einen neuen

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