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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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herauszubekommen. Betsy erschrak. Das schnelle Blinzeln hatte sie bei Ron seit Jahren nicht mehr gesehen. Ihre Schwiegermutter hatte ihr einmal erklärt, dass Ron in der zweiten Klasse oft verprügelt worden war, ihr damals aber nichts davon erzählt hatte. In dieser Zeit lag der Ursprung dieses Blinzelns. Im Lauf der Jahre war es besser geworden und inzwischen fast ganz verschwunden. Selbst als er von Spencers Selbstmord erfahren hatte, war es nicht aufgetreten.
    Sie wünschte, sie könnte die Sache mit dem Foto rückgängig machen. Ron war nach Hause gekommen und hatte ihr die Hand
zur Hilfe entgegengestreckt  – und sie hatte diese Hand zur Seite geschlagen.
    »Er war an dem Abend nicht allein«, sagte sie.
    »Na und?«
    »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
    »Vielleicht war er erst noch mit seinen Freunden unterwegs. Na und?«
    »Warum haben die nichts davon gesagt?«
    »Wer weiß? Vielleicht hatten sie Angst. Vielleicht hat Spencer ihnen gesagt, dass sie den Mund halten sollen, oder vielleicht hast du einfach die Tage verwechselt. Vielleicht hat er sich auch nur kurz mit ihnen getroffen und ist dann allein weitergezogen. Vielleicht wurde das Foto ein paar Stunden vorher gemacht.«
    »Nein. Ich bin zur Schule gefahren und hab es Adam Baye gezeigt …«
    »Was hast du getan?«
    »Ich habe auf ihn gewartet, und als er aus der Schule kam, hab ich ihm das Foto gezeigt.«
    Ron schüttelte nur den Kopf.
    »Er ist praktisch vor mir weggelaufen. Da muss mehr dahinterstecken.«
    »Und was zum Beispiel?«
    »Keine Ahnung. Aber vergiss nicht, dass Spencer eine Schramme am Auge hatte, als sie ihn gefunden haben.«
    »Aber das haben sie uns doch erklärt. Wahrscheinlich hat er das Bewusstsein verloren und ist dann aufs Gesicht gefallen.«
    »Oder jemand hat ihn geschlagen.«
    Ron sagte leise: »Spencer hat keiner geschlagen, Bets.«
    Betsy sagte nichts. Das Blinzeln nahm zu. Ron liefen Tränen über die Wangen. Sie streckte ihm die Hand entgegen, aber er wich zurück.
    »Spencer hat Tabletten mit Alkohol geschluckt. Verstehst du das, Betsy?«

    Sie sagte nichts.
    »Keiner hat ihn gezwungen, die Wodkaflasche aus unserem Schrank zu klauen. Keiner hat ihn gezwungen, die Pillen aus meinem Medizinschrank zu nehmen, in den ich sie gelegt hatte. Einfach so, für jeden offen und erreichbar. Das wissen wir doch, oder? Ja, das waren meine Tabletten, die ich einfach so habe rumliegen lassen. Die Tabletten, die ich mir immer weiter habe verschreiben lassen, obwohl ich die Schmerzen eigentlich längst überwunden haben müsste, stimmt’s?«
    »Ron, das ist doch nicht …«
    »Was ist es nicht? Meinst du, ich hätte es nicht gemerkt?«
    »Was hättest du nicht gemerkt?«, fragte sie. Aber sie wusste es. »Ich gebe dir nicht die Schuld an Spencers Tod, das schwöre ich.«
    »Doch, das tust du.«
    Sie schüttelte den Kopf. Aber das sah er nicht mehr. Ron hatte sich umgedreht und war aus der Tür gestürzt.

12
    Nash war bereit zuzuschlagen.
    Er wartete auf dem Parkplatz der Palisades Park Mall, einem gigantischen, absolut amerikanischen Einkaufszentrum. Die Mall of America in Minneapolis war zwar noch größer, aber diese war neuer und voller riesiger Megastores, nicht mit niedlichen kleinen Läden und trendigen Boutiquen aus den Achtzigern. Hier gab es Club-Kaufhäuser, teure Buchhandelsketten, ein IMAX -Kino, einen AMC -Kinopalast mit fünfzehn Leinwänden, einen Best Buy, einen Staples, ein großes Riesenrad. Die Gänge waren hoch und breit. Alles war riesig.
    Reba Cordova war zu Target gegangen.
    Sie hatte ihren grünmetallicfarbenen Acura MDX ziemlich
weit vom Eingang weg geparkt. Das war gut, riskant blieb es trotzdem. Sie stellten den Lieferwagen auf der Fahrerseite neben den Acura. Nash hatte einen Plan gemacht. Pietra war Reba Cordova in die Mall gefolgt und beschattete sie. Nash war auch kurz bei Target gewesen  – um schnell etwas zu kaufen.
    Jetzt wartete er auf eine SMS von Pietra.
    Er hatte überlegt, ob er sich den Schnurrbart ankleben sollte, sich aber dagegen entschieden. Nash musste offen und vertrauenswürdig aussehen. Dabei half ein Schnurrbart nicht. Ein Schnurrbart, besonders so ein buschiger, wie er ihn bei Marianne benutzt hatte, war ein dominierendes Element im Gesicht. Wenn man Zeugen nach einer Beschreibung fragte, sahen die meisten nicht mehr als den Schnurrbart. Daher funktionierte er so gut.
    Hier wäre er allerdings fehl am Platz gewesen.
    Nash blieb im Wagen sitzen und machte sich fertig. Er

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