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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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der Bronx, dessen Adresse Anthony Mike gegeben hatte.
    »Du wirst es nicht glauben«, sagte Mo.
    »Was?«
    »Wir werden verfolgt.«
    Mike war so geistesgegenwärtig, sich nicht umzudrehen und den Beschattern so zu erkennen zu geben, dass sie entdeckt worden waren.
    »Blauer viertüriger Chevrolet. Steht in zweiter Reihe kurz vor der nächsten Kreuzung. Zwei Männer, beide mit Yankee-Kappen und Sonnenbrillen.«
    Gestern Abend hatte es hier auf der Straße von Menschen gewimmelt. Jetzt war sie praktisch leer. Die wenigen sichtbaren Personen lagen entweder schlafend in Hauseingängen oder sie staksten bemerkenswert lethargisch mit schlaff herunterhängenden
Armen umher. Mike erwartete beinahe noch, dass ein Tumbleweedstrauch durch die Straße wehte.
    »Geh du rein«, sagte Mo. »Ich ruf einen Freund an und sag ihm das Kennzeichen. Mal sehen, was er rauskriegt.«
    Mike nickte. Beim Aussteigen versuchte er, einen unauffälligen Blick auf den Chevrolet zu werfen. Er sah ihn aber kaum und guckte sicherheitshalber nicht noch ein zweites Mal hin. Dann ging er zum Eingang. Auf der grauen Stahltür stand CLUB JAGUAR. Mike drückte den Klingelknopf. Ein Summer ertönte, und er stieß die Tür auf.
    Die Wände waren leuchtend gelb gestrichen, wie man es sonst von McDonald’s kannte oder von Kinderstationen in Krankenhäusern, die es mit der vermeintlich kindgerechten Einrichtung etwas zu gut gemeint hatten. Rechts hing ein Schwarzes Brett mit diversen Zetteln, auf denen man sich für Beratungstermine, Musikstunden, Bücherdiskussionen, und diverse Therapiegruppen für Drogenabhängige, Alkoholiker und körperlich oder seelisch Misshandelte einschreiben konnte. Auf diversen Anschlägen mit Abreißzetteln, auf denen die Telefonnummer stand, wurden Mitbewohner oder -bewohnerinnen für Wohnungen gesucht. Jemand wollte für hundert Dollar eine Couch verkaufen. Ein anderer wollte Gitarrenverstärker loswerden.
    Er ging weiter zum Empfang. Eine junge Frau mit einem Ring in der Nase sah ihn an und fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er hatte das Foto von Adam in der Hand. »Haben Sie diesen Jungen gesehen?« Er legte das Bild vor ihr auf den Schreibtisch.
    »Ich bin hier nur die Rezeptionistin«, sagte sie.
    »Auch Rezeptionistinnen haben Augen. Ich habe gefragt, ob Sie ihn gesehen haben.«
    »Ich darf nicht über unsere Gäste sprechen.«
    »Ich erwarte nicht, dass Sie etwas über ihn sagen. Ich möchte nur wissen, ob Sie ihn gesehen haben.«
    Ihre Lippen wurden schmal. Jetzt sah er, dass sie auch um den
Mund herum gepierct war. Sie sah schweigend zu ihm auf. So kam er nicht weiter.
    »Gibt es hier einen Verantwortlichen? Kann ich ihn oder sie sprechen?«
    »Das ist Rosemary.«
    »Wunderbar. Kann ich sie sprechen?«
    Die gut gepiercte Rezeptionistin griff zum Telefon. Sie deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab und murmelte etwas hinein. Ein paar Sekunden darauf lächelte sie Mike zu und sagte: »Miss McDevitt erwartet Sie. Dritte Tür rechts.«
    Mike wusste selbst nicht genau, was er erwartet hatte, aber Rosemary McDevitt war auf jeden Fall eine Überraschung. Sie war jung, zierlich und strahlte eine Art rohe Sinnlichkeit aus, die einen an einen Puma erinnerte. Sie hatte dunkle Haare mit einer violetten Strähne darin, außerdem schlängelte sich eine Tätowierung von der Schulter den Hals hinauf. Ihr einziges Oberteil war eine ärmellose, schwarze Lederweste. Sie hatte braungebrannte Arme und trug eine Ledermanschette um den Bizeps.
    Sie stand auf, lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. »Willkommen.«
    Er schüttelte ihre Hand.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich heiße Mike Baye.«
    »Hallo, Mike.«
    »Äh, hallo. Ich suche meinen Sohn.«
    Er stand direkt vor ihr. Mike war eins achtundsiebzig groß und überragte die Frau um fast zwanzig Zentimeter. Rosemary McDevitt sah sich Mikes Foto an. Ihre Miene verriet nichts.
    »Kennen Sie ihn?«, fragte Mike.
    »Ihnen ist schon klar, dass ich darauf nicht antworten darf.«
    Sie versuchte, Mike das Foto zurückzugeben, aber Mike nahm es nicht an. Sein aggressives Verhalten hatte ihn nicht weit gebracht, also riss er sich zusammen und atmete tief durch.

    »Ich habe nicht verlangt, dass Sie einen Vertrauensbruch begehen …«
    »Doch, Mike, das haben Sie.« Sie lächelte freundlich. »Genau das haben Sie verlangt.«
    »Ich versuche nur, meinen Sohn zu finden. Weiter nichts.«
    »Sieht das hier etwa wie ein Fundbüro aus?«
    »Er wird vermisst.«
    »Dies ist eine Zufluchtsstätte,

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