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unter freiwilliger oder unfreiwilliger Mithilfe einer Komplizin Frauen aus den Vororten schnappte, sie umbrachte und sie dann als Prostituierte ausstaffierte. Ein paar Kollegen prüften jetzt in den Datenbanken, ob es in der Umgebung
Morde nach diesem Schema gegeben hatte. Bisher waren sie nicht fündig geworden.
Muse glaubte sowieso nicht an diese Theorie. Psychologen und Profiler hätten allerdings schon bei dem Gedanken einen Orgasmus bekommen, dass ein Serienkiller Vorortmütter ermordete und als Prostituierte ausstaffierte. Sie würden lange Vorträge halten über die Rollenfestlegung von Frauen als Mütter und Nutten. Trotzdem glaubte Muse nicht daran. Eine Frage passte nicht in dieses Szenario, eine Frage, die sie schon von dem Moment an gequält hatte, als ihr klar geworden war, dass die Unbekannte keine Straßendirne war: Warum war die Frau nicht als vermisst gemeldet worden?
Ihrer Ansicht nach gab es darauf zwei mögliche Antworten. Erstens: Niemand wusste, dass sie vermisst wurde. Die Unbekannte war im Urlaub oder sollte auf einer Geschäftsreise sein oder so etwas. Oder zweitens: Sie war von einem Bekannten umgebracht worden. Und dieser Bekannte wollte nicht, dass sie als vermisst galt.
»Wo ist denn der Ehemann jetzt?«
»Cordova? Er ist noch bei den Kollegen in Livingston. Die klappern das Viertel ab und fragen, ob jemand einen weißen Lieferwagen gesehen hat. Das Übliche halt.«
Muse nahm einen Bleistift vom Schreibtisch. Sie steckte den Radiergummi in den Mund und kaute.
Es klopfte. Sie blickte zur Tür und sah den künftigen Ruheständler Frank Tremont.
Den dritten Tag in Folge im selben braunen Anzug, dachte Muse. Beeindruckend.
Er sah sie an und wartete. Eigentlich hatte sie jetzt keine Zeit dafür, aber wahrscheinlich brachte man das am besten schnell hinter sich.
»Clarence, würden Sie uns bitte allein lassen?«
»Klar, Boss, selbstverständlich.«
Als er ging, nickte Clarence Frank Tremont kurz zu. Tremont erwiderte es nicht. Als Clarence verschwunden war, schüttelte er den Kopf und sagte: »Hat er Sie Boss genannt?«
»Ich habe ziemlich wenig Zeit, Frank.«
»Haben Sie meinen Brief gekriegt?«
Das Abschiedsgesuch. »Hab ich.«
Schweigen.
»Ich hab was für Sie«, sagte Tremont.
»Was ist los?«
»Bis zum Monatsende bin ich noch im Dienst«, sagte er. »Also muss ich wohl auch noch arbeiten, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Und dabei ist mir was aufgefallen.«
Sie lehnte sich zurück und hoffte, dass er sich beeilte.
»Ich hab mir diesen weißen Lieferwagen noch mal genauer angeguckt. Der, der in beiden Fällen beteiligt war.«
»Okay.«
»Ich glaub nicht, dass er geklaut worden ist, wenigstens nicht hier in der Gegend. Weil wir hier keine passende Diebstahlsanzeige vorliegen haben. Also hab ich ein paar Autovermietungen angerufen und gefragt, ob jemand so einen Lieferwagen gemietet hat.«
»Und?«
»Es gab ein paar, aber die meisten konnte ich sofort ausfindig machen und feststellen, dass da alles rechtmäßig gelaufen ist.«
»Also ist das eine Sackgasse?«
Frank Tremont lächelte. »Hätten Sie was dagegen, wenn ich mich einen Moment setze?«
Sie winkte in Richtung Stuhl.
»Ich hab noch was ausprobiert«, sagte er. »Wie Sie schon sagten, ist dieser Typ ziemlich clever. Die erste Leiche hat er so hergerichtet, dass sie wie eine Nutte aussah. Beim zweiten Opfer hat er den Wagen auf einem Hotelparkplatz geparkt. Er hat die Kennzeichen
ausgetauscht und alles Mögliche. Er geht nicht nach dem klassischen Muster vor. Also hab ich mir überlegt, was wohl besser, also schwerer zu finden wäre, als so einen Wagen zu klauen oder zu mieten.«
»Ich höre?«
»Man kauft sich im Internet einen Gebrauchtwagen. Kennen Sie diese Auto-Internetseiten?«
»Eigentlich nicht, nein.«
»Da werden Unmengen von Autos verscherbelt. Ich hab letztes Jahr selbst einen Wagen bei autoused.com verkauft. Manchmal findet man da echte Schnäppchen – und weil das Privatverkäufe sind, gibt’s da auch nicht so viel Papierkram. Die Neu- und Gebrauchtwagenhändler können wir noch relativ gut überprüfen, aber wer findet schon ein Auto, das übers Internet verkauft wurde?«
»Und weiter?«
»Dann hab ich die beiden größten Internetanbieter angerufen. Ich hab sie aufgefordert, ihre Daten aus den letzten vier Wochen durchzugucken und mir alle weißen Chevrolet-Lieferwagen rauszusuchen, die in der Zeit verkauft wurden. Ich hab sechs Stück gefunden. Da hab ich dann angerufen. Vier wurden
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