Sie sehen dich
Mike. Wissen Sie, was das bedeutet? Viele Jugendliche kommen zu uns auf der Flucht vor ihren Eltern.«
»Ich mache mir Sorgen, dass er in Gefahr ist. Er ist gegangen, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Er ist gestern Abend hier gewesen, und …«
»Brr.« Sie hob die Hand und unterbrach ihn.
»Er ist gestern Abend hier gewesen? Das haben Sie gerade gesagt, stimmt’s, Mike?«
»Stimmt.«
Ihre Augen verengten sich. »Woher wissen Sie das, Mike?«
Die dauernde Benutzung seines Namens ging ihm auf die Nerven.
»Wie bitte?«
»Woher wissen Sie, dass Ihr Sohn hier war?«
»Das ist eigentlich nicht weiter wichtig.«
Sie lächelte und trat einen Schritt zurück. »Da bin ich anderer Ansicht.«
Er musste das Thema wechseln. Er sah sich um. »Was ist das hier eigentlich genau?«
»Wir sind so eine Art Zwitter.« Rosemary musterte ihn mit einem Blick, der ihm sagte, dass sie wusste, was er mit dieser Frage bezweckte. »Betrachten Sie es als eine Art Jugendzentrum, aber mit einem neuen Dreh.«
»Inwiefern?«
»Erinnern Sie sich noch an diese Programme mit dem Mitternachtsbasketball?«
»Das war in den Neunzigern, oder? Dadurch wollte man die Jugendlichen von der Straße fernhalten.«
»Genau. Über den Erfolg und Misserfolg möchte ich jetzt nicht weiter diskutieren, auf jeden Fall richteten sich die Programme an Kids aus den armen Innenstadtvierteln – und viele Leute haben darin eine rassistische Unterströmung gesehen. Na ja, da sollte mitten in der Innenstadt Basketball gespielt werden. Was soll man dazu noch sagen?«
»Also machen Sie das anders?«
»Erstens richten wir uns nicht nur an die Armen. Das klingt vielleicht ein bisschen reaktionär, aber ich weiß nicht, ob dies der beste Ort für afroamerikanische oder andere Teenager aus den Innenstädten ist. Das müssen die unter sich ausmachen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass man die Verlockungen so langfristig eindämmen kann. Sie sollen ja verstehen, dass sie aus dieser Lebenssituation nicht durch Waffen oder Drogen herauskommen, und ich bezweifele doch sehr, dass sie das durch Basketballspielen lernen.«
Eine Gruppe junger Männer schlurfte an ihrem Büro vorbei. Alle trugen das typische Grufti-Schwarz und diverse Accessoires aus dem Bereich Nieten und Ketten. Die Hosen hatten alle einen extrem weiten Schlag, so dass man ihre Schuhe nicht sehen konnte.
»Hey, Rosemary.«
»Hey, Jungs.«
Sie gingen weiter. Rosemary wandte sich wieder an Mike. »Wo wohnen Sie?«
»New Jersey.«
»In einem Vorort, stimmt’s?«
»Ja.«
»Die Teens bei Ihnen. Wodurch geraten die so in Schwierigkeiten.«
»Keine Ahnung. Drogen und Alkohol.«
»Genau. Sie wollen feiern. Sie glauben, dass sie sich langweilen – vielleicht tun sie das auch wirklich, wer weiß? –, also wollen sie ausgehen, einen draufmachen, sich besaufen oder bekiffen, flirten und alles Mögliche. Genau das bieten wir ihnen hier. Die wollen nämlich gar nicht Basketball spielen.«
»Sie können hier einen draufmachen?«
»Nicht so, wie Sie jetzt denken. Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Sie verließen das Zimmer und folgten dem hellgelben Flur. Mike blieb neben ihr. Sie hielt sich sehr aufrecht. Am Ende des Flurs zog sie einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete eine Tür und ging die Treppe hinunter. Mike folgte ihr.
Es war eine Disco oder ein Club oder wie immer man das heutzutage nannte. Da standen gepolsterte Bänke, runde Leuchttische und niedrige Hocker. Es gab eine Kabine für den DJ und eine Tanzfläche aus Holz, zwar keine Spiegelkugel, aber verschiedene bunte bewegliche Lichtstrahler. An der Rückwand war ein Graffiti mit den Worten CLUB JAGUAR.
»Das wollen Teenager«, sagte Rosemary McDevitt. »Einen Ort, an dem sie Dampf ablassen können. An dem sie sich amüsieren und mit ihren Freunden abhängen können. Wir schenken hier keinen Alkohol aus, aber alkoholfreie Drinks, die wie alkoholische aussehen. Wir haben gut aussehende Barkeeper und Kellnerinnen. Wir machen das, was gute Clubs sonst auch machen. Der Hauptpunkt ist aber, dass sie hier sicher sind. Verstehen Sie das? Kids wie Ihr Sohn kommen in die Stadt und versuchen, sich falsche Papiere zu besorgen. Sie wollen Drogen kaufen oder an Alkoholika rankommen, obwohl sie noch minderjährig sind. Wir arbeiten dagegen an, indem wir einen Teil davon anbieten und sie so auf eine gesündere Bahn lenken.«
»Mit dem Laden hier?«
»Nicht nur. Wir bieten auch Beratungen an, wenn sie die brauchen. Wir haben
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