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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Papiertaschentüchern kramt. »Fahr einfach weiter.« Ihr Ekel hält sich in Grenzen, was sie besorgt, ist das Symptom. Ihr Vater hatte Übelkeit immer als möglichen Hinweis auf Gehirnerschütterung beschrieben, dasselbe sagen auch die Handbücher der Agentur.
    »Das hat uns gerade noch gefehlt!«, schreit Stefano. »Zum Teufel mit ihm, ausgerechnet in mein Auto mussten wir ihn reinsetzen! Anstatt den Krankenwagen zu rufen und zu warten wie alle anderen! Ich fasse es nicht!«
    »Komm, fahr weiter.« Sie hält Daniel Deserti ein Papiertaschentuch hin. Wie schon so oft fragt sie sich, wie Stefano wohl in einer Situation echter Gefahr reagieren würde. Das einzige Beispiel, das ihr einfällt, stammt vom vorigen Jahr, als sie ein Wochenende im Piemont bei Weinproben in einigen Kellereien verbracht hatten und eine Wespe ins Innere des Audi geraten war. Er hielt am Straßenrand, stieg hastig aus, fuchtelte wie wild mit den Armen herum und überließ sie ihrem Schicksal. Später lachten sie noch zwei- oder dreimal darüber, aber die Episode ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, wie eine unbeantwortete Frage im Hinterland ihrer Gedanken.
    Daniel Deserti hustet noch, spuckt aus, wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. »Widerliches schwarzes Auto«, murmelt er.
    »Hörst du jetzt auf?!«, schreit Stefano. »Hörst du endlich auf?!«
    »Fahr weiter!«, wiederholt sie. Erneut hält sie Daniel Deserti ein Papiertaschentuch hin. »Es ist alles in Ordnung, alles in Ordnung.«
    »O ja, wahrhaftig, alles in Ordnung!«, sagt Stefano; er beschleunigt und bremst abrupt, ein paarmal streift er beinahe ein anderes Auto. »Sag mir wenigstens, ob ich hier lang richtig fahre! Chiaraaa?!«
    »Ich glaube schon«, sagt sie.
    »Was soll das heißen, du glaubst??!«, schreit Stefano. »Glaubst du es oder weißt du es?!«
    »Fahr geradeaus«, sagt sie und versucht, jede Spur von Zweifel aus ihrer Stimme zu tilgen. »Und gleich vor der Ampel biegst du rechts ab.«
    Endlich sind sie tatsächlich vor der Notaufnahme des Krankenhauses. Stefano hält unter dem Vordach, direkt vor dem Eingang.
    Ein kleiner, untersetzter Pfleger kommt heraus und macht ihm Zeichen, dass er da nicht halten dürfe.
    »Ist das der Eingang zur Notaufnahme, ja oder nein?!«, schreit Stefano. »Was sollte ich denn machen Ihrer Meinung nach?!«
    Sie steigt hinten aus, öffnet die Tür zum Beifahrersitz. »Wir haben einen Verletzten«, sagt sie. »Es ist ein Notfall.«
    Der Pfleger reckt den Hals, um nachzusehen, und nickt.
    »Lasst mich in Ruhe«, faucht Daniel Deserti, setzt einen Fuß auf den Boden. »Ihr könnt mich alle mal.«
    »Rufen Sie jemanden!«, sagt sie zu dem Pfleger. »Lassen Sie eine Trage bringen oder irgendwas!«
    Daniel Deserti versucht, allein aus dem Auto auszusteigen, aber es gelingt ihm nicht. Er ist durchnässt vom Regen, blass, das Blut läuft ihm über die Stirn den Hals hinunter bis zu dem rotverfleckten Hemd: Es sieht allerdings nicht so aus, als ob er weit kommen könnte.
    »Nur die Ruhe, es ist alles in Ordnung«, sagt sie, langsam scheint sie wieder Kontrolle über sich zu gewinnen. Ihr Herzschlag ist wieder fast normal, der Atem ebenfalls; die Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, sind wieder klar.
    Zwei Krankenträger kommen mit einer Rollbahre, und obwohl Daniel Deserti Widerstand leistet, hieven sie ihn mühelos darauf.
    »Hey!«, ruft Stefano über das Auto hinweg, das Hemd klebt an seinem schmalen Brustkorb, die Augen hinter den beschlagenen Brillengläsern sind verschleiert, die nassen Haare schüttere Strähnen. »Wir haben nicht einmal das Formular für die gütliche Einigung ausgefüllt!«
    »Das ist doch jetzt nicht der richtige Moment, Ste!« Sie deutet auf die Rollbahre, die auf die Automatiktüre zugeschoben wird.
    »Wann dann?«, antwortet Stefano kopfschüttelnd. »Er hat mir nicht einmal seine Versicherungsnummer gegeben oder eine Telefonnummer, was weiß ich!«
    »Glaubst du, er wäre dazu in der Lage gewesen?«, sagt sie, enttäuscht über diesen neuerlichen Beweis von Gefühllosigkeit.
    »Also hör mal!«, schreit Stefano. »Mein Auto ist hin! Der Schaden beträgt Tausende von Euro!«
    »Ich lasse mir seine Daten geben, okay?«, sagt sie. »Oder ich suche sie morgen bei der Arbeit raus. Fahr ruhig schon nach Hause, wir telefonieren dann.« Sie winkt kurz und folgt den Pflegern, die im Eingang verschwunden sind. Sie fühlt sich absolut im Recht, auf der richtigen Seite.
    »Wie?«, sagt Stefano. »Chiara? Wo gehst du

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