Sie und Er
sie die Autos und Motorräder geparkt haben. Ständig bleiben sie stehen, lehnen sich aneinander, müde, verlangsamt, verwirrt, sie können sich nicht trennen. Sand und kleine Steinchen kleben an ihrer Haut, unter den Kleidern, in den Haaren. Auf einem Mäuerchen oder am Randstein sitzend, oder auf einem, dann auf dem anderen Bein balancierend, versuchen sie sich die Füße zu säubern; sie machen noch Bemerkungen über dies und das, obwohl keiner mehr zuhört. Clare betrachtet die halbgeöffneten Fenster der Häuser, die Schaufenster der Geschäfte und Bars mit herabgelassenen Rollläden in der regungslosen, von leise zischenden Laternen beleuchteten Straße. Wie traurig und hässlich der neue Teil des Dorfes ist, denkt sie, im Vergleich zu dem alten, wenige Dutzend Meter weiter drüben; sie fragt sich, warum sie sich nicht einmal jetzt vor diesen Empfindungen abschirmen kann. Um nicht daran zu denken, blickt sie auf den verlassenen Strand, den Dreiviertelmond, der sich im schwarzen Meer spiegelt, die Lichter der Fischerboote am Horizont. Melancholie überkommt sie bei der Vorstellung, dass nun alle heimgehen, die Situation sich auflöst, der nächste Tag schon vor der Tür steht mit seinen drückenden Sorgen. Sie mustert Daniel Deserti, verblüfft, dass er noch da ist, dass er nicht gegangen ist. Sie fragt sich, was für Absichten er hat, wo er die Nacht zu verbringen gedenkt. Sie fragt sich, ob sie Gewissensbisse haben müsste, weil sie sich von ihm ferngehalten hat, findet aber, nein; es war eher eine elementare Form der Selbstverteidigung. Außerdem hat sie sowieso schon genug Schuldgefühle.
Der Reihe nach umarmt sie die Freunde und Freundinnen zum Abschied, verspricht jedem und jeder, dass sie sich wiedersehen. Was sie mit Alberto teilte, war die Freude daran, mit Menschen zusammen zu sein, auch wenn das bei ihm schier krankhafte Züge annahm, da er nicht einmal einen Abend lang allein sein konnte. Lange, aufreibende Nächte mit viel Alkohol und Joints fallen ihr ein, an deren Ende er versuchte, alle so lange wie möglich vom Aufbruch abzuhalten, indem er die Wörter dehnte, noch mehr Wein entkorkte, noch mehr Whisky und Gin einschenkte, noch mehr Geschichten erzählte, Ausreden erfand, sich an die Leute hängte, ohne Maß und Ziel Freundschaftserklärungen und galante Komplimente verteilte. Daniel Deserti hat ganz recht mit seiner Behauptung, dass wir uns gegensätzliche Menschen aussuchen, sie braucht nur an die unverrückbare geistige Ordnung Luigis zu denken, der darauf bestand, um Mitternacht zu Hause zu sein bei seiner toskanischen Zigarre und seinem Buch. Stefano wiederum gelingt es immer, den richtigen Augenblick zu erfassen, um aufzubrechen, sich zu verabschieden, auf die Tür zuzugehen und so ins Bett zu kommen, dass er eine angemessene Anzahl von Stunden schlafen kann. Wenn sie von hier aus daran denkt, müde und wehmütig nach dem zu Ende gegangenen Fest, dann kommt ihr dieses Spiel der Gegensätze wirklich lächerlich vor: Ordnung-Durcheinander, Lebenslust-Zuverlässigkeit, Oberflächlichkeit-Tiefe, Spaß-Langeweile. Nie wollte sie sich zwischen Schwarz und Weiß entscheiden, auf die Hälfte der Möglichkeiten verzichten, die das Leben bietet, um die andere Hälfte zu bekommen, auch wenn alle ständig wiederholen, dass es nun mal so sei und dass auch sie das zur Kenntnis nehmen müsse. Sie wünschte, man ließe ihr die Freiheit, je nach Laune so zu sein, wie sie gerade will, ohne um Erlaubnis bitten oder befristete Zugeständnisse aushandeln zu müssen. Jedenfalls braucht sie mehr Raum für sich, als sie in letzter Zeit hatte, weniger Ecken und Kanten, weniger Schranken, weniger Regeln, die man annehmen und anwenden muss. Sie findet diese Forderung nicht absurd und versteht nicht, warum sie so schwer zu akzeptieren ist.
Daniel Deserti betrachtet sie aus ein paar Metern Entfernung, am Rand der kleinen Gruppe von Freunden und Freundinnen; sie weiß nicht, ob er verärgert ist, dass er um zwei Uhr früh noch mit wildfremden Leuten hier herumsteht, oder interessiert, gelangweilt, angewidert, zerstreut, müde. Vielleicht ist er enttäuscht, dass er seine Rolle als Protagonist verloren hat, nicht mehr Herr der Lage und nicht mehr mit ihr allein war wie vorher auf der Terrasse. Falls es so ist, tut es ihr leid, aber sie möchte in diesem Augenblick weich und flexibel sein, anstrengende Gedanken fernhalten, sich nicht schon vom nächsten Mann belagern lassen.
Einige der Freunde machen sich auf den Weg,
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