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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Sesselchen brauchte, weil die Luft sie auffangen würde, die Nacht, die dichte Spannung, die zwischen ihnen herrscht, die formlosen Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen.
    »Weil du so bist.« Er streckt die Hand aus und streicht ihr über die Haare: Die Berührung dauert nur eine Sekunde, ist nicht vorbedacht, nicht fordernd.
    Sie hält still, grenzenlos tiefe Erleichterung durchströmt sie. Gleich danach wird ihr schwindlig; sie dreht sich um, durchquert mit vorsichtigen Schritten den kleinen Garten. Er folgt ihr in etwa einem Meter Abstand; sie fühlt es, dreht sich aber nicht um. Vielleicht könnte sie ihm noch sagen, dass er gehen muss, vielleicht ist es zu spät. Ihr scheint, sie hat sich da etwas ganz Übles eingebrockt, dann wieder meint sie, es ist doch nichts dabei. Hintereinander steigen sie die Treppenstufen zum Haus hinauf.
     
    Beide sind anlehnungsbedürftig
     
    Beide sind anlehnungsbedürftig: Sie lehnen sich an das Mäuerchen oben an der Treppe, dann an die Hauswand.
    »Am Strand habe ich dich beobachtet«, sagt er. »Du hast ein natürliches Talent zur Performerin.« Er sieht sie an, nimmt ihre Gesichtszüge in sich auf.
    »Ach komm.« Sie lacht, stützt ihre Stirn in die Hand und den Handrücken gegen den Türrahmen.
    »Echt.« Er schwankt rückwärts. »Zur Schauspielerin, was weiß ich. Zur Akrobatin, zur Musikerin. Dein Ausdrucksrepertoire ist erstaunlich.« Und immer noch staunt er, genauso wie am Strand, weshalb er Mühe hat, genauere Definitionen zu finden.
    »Was meinst du damit?« Sie legt den Kopf schief.
    »Zum Beispiel, wie du dir auf die Zungenspitze getippt und dann die Titel der Songs gesagt hast. Du hast die Zungenspitze rausgestreckt, sie mit dem Zeigefinger berührt und die Hand nach oben gestreckt mit deinem langen, wohlgeformten Arm, und dabei verrutschte dein T-Shirt und entblößte deinen Bauch. Es war phantastisch.«
    »Ach komm.« Sie lacht, schwankt vor und zurück. »Ach komm.«
    »Ich bin nicht der Einzige, der das bemerkt hat«, sagt Deserti. »Alle Männer am Strand waren hingerissen.«
    »Das stimmt nicht«, sagt sie.
    »Du weißt, dass es stimmt«, sagt er. »Dieser Typ mit der Gitarre, er kratzte auf den Saiten herum wie eine Riesenzikade, unermüdlich.«
    »Gio?«, fragt sie.
    »Ja«, sagt er. »Der war ja nicht mehr zu bremsen, vrlang, vrlang, vrlang. Und der andere mit den Bongos auch, oder?«
    Sie lacht immer weiter, schwankt nur noch ganz leise: »Das sind doch bloß Freunde.«
    »Total verknallt in dich.« Sein Ton mag amüsiert klingen, aber zum Teil nagt es ihm an der Seele.
    »Und was ist mit dir?«, sagt sie. »Ich hab doch gesehen, wie Sonia an deinen Lippen hing. Sie hat alle deine Bücher gelesen und konnte es kaum fassen, dass du da warst.« Jetzt ist es, als sei ihre Stimmung halb so wie vorher am Strand, halb so wie beim Abendessen: der seltsamste Wechsel zwischen Schwere und Leichtigkeit drückt sich in ihren Worten aus.
    »Darüber wollte ich aber gar nicht reden.« Vergeblich bemüht er sich, gerade zu stehen. Er fragt sich, ob er nicht hier aufhören, sich verabschieden und gehen sollte, kann sich aber überhaupt nicht vorstellen, wie.
    »Worüber wolltest du denn reden?« Sie schiebt den Schlüssel ins Schloss.
    »Über deine erstaunliche Fähigkeit, dich zu bewegen«, sagt er. »Zum Beispiel, wie du dir im Rhythmus mit der Hand auf die Hüfte geklopft hast. Oder diese Art zu tanzen, wie eine Pazifikinsulanerin. Wo zum Teufel hast du das her?«
    Sie fährt sich mit der Hand durch die Haare, die noch krauser sind als gewöhnlich. »Manchmal habe ich mit einer meiner kleineren Schwestern getanzt. Onkel Harold war Musiker und gab nachmittags Gitarren- und Banjounterricht. An den Wochenenden spielte er in einem Hawaii-Lokal. Harry Moletto’s Island Trio hieß seine Gruppe.«
    »Und ihr habt zu der Musik getanzt?«, sagt er.
    »Ja.« Sie lacht, öffnet die Tür und geht ins Haus.
    »Wie alt wart ihr da, du und deine Schwester?« Er folgt ihr im Dunkeln in die kleine Wohnküche.
    »Ich weiß nicht.« Sie knipst das Licht an, reguliert es mit dem Dimmer. »Ich etwa dreizehn, Julia elf.«
    »Ihr wart ja noch Kinder.« Er zieht die Schuhe aus; die kleinen Steinchen lösen sich von seinen Zehen und fallen auf den Fußboden.
    »Hmmm.« Mit einer ihrer witzigen, nonchalanten Bewegungen schüttelt sie sich die Sandalen von den Füßen. »Queen Aaliyah hieß das Lokal. Onkel Harold spielte steel guitar. Dann waren da noch Tom Pancano am Kontrabass und Jonnie

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