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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Funke von Befriedigung, den er empfindet, gleicht kein bisschen den Ärger darüber aus, dass er hier auf diesem feuchten, dunklen Stück ligurischem Strand festsitzt, egal welche guten oder schlechten Gründe ihn hergeführt haben. Er sollte gehen, denkt er, sofort, Verluste abhaken, sein Gesicht wahren.
    »Ich habe alles, aber wirklich alles gelesen, was du geschrieben hast«, sagt das Mädchen.
    »Freut mich«, erwidert er. Mehrere ähnliche Antworten fallen ihm ein, die er im Lauf der Jahre erprobt hat, bis sie ganz natürlich klangen; er überlegt, wie er die Belagerung sprengen, von hier verschwinden kann.
    Das Mädchen streckt die Hand aus: »Sonia«, sagt sie, oder so ähnlich, es ist nicht ganz klar. Ihre Anwesenheit scheint Paolo den Buchhändler noch mehr anzustacheln, er zieht eine richtige Schau ab und verdoppelt seine hektischen Fragen und Bemerkungen. Um Musik und Gelächter zu übertönen, spricht er lauter, schwankt auf seinen dünnen, langen Beinen, nimmt ab und zu einen Schluck aus seiner Flasche. Als die Flasche leer ist, macht er sich auf die Suche nach einer neuen, doch mittlerweile hat Sonia, oder wie sie heißt, selber angefangen, ihn mit Fragen und Bemerkungen zu bombardieren, noch dazu so leise, dass es schier unmöglich ist, sie zu verstehen.
    Der Buchhändler kommt schon wieder zurück, schwenkt eine Flasche Rum wie eine Trophäe. Er nimmt einen Schluck, reicht sie an Sonia weiter, sie trinkt und hält sie Deserti hin. Er zögert, die Flasche in der Hand, während die zwei anderen weiter auf ihn einreden, dann setzt er sie an und kippt den Rum in großen Schlucken hinunter, als ob es Wasser wäre. Zuletzt lässt er die leere Flasche auf den Kiesstrand fallen. Paolo und Sonia starren ihn an.
    Unterdessen sind ein paar Leute ins Meer gesprungen: Man hört Gekreische, Knirschen von Kies unter eiligen Füßen, Platschen, Spritzen, unterschiedlich hohe Stimmen.
    »Kommt ihr nicht auch?«, ruft die Moletto, nicht zu ihm persönlich, aber wenigstens in seine Richtung. Zwei oder drei Typen ziehen sie an den Armen; sie lacht, versucht sich loszumachen.
    »Ich habe keine Badehose«, sagt er. Am liebsten würde er sich umdrehen und gehen; oder zu ihr hinlaufen, sie befreien, links und rechts Schläge austeilen, egal wohin.
    »Ich auch nicht!«, ruft sie zurück. Sie zieht Hose und T-Shirt aus, läuft in einem bunt gestreiften Höschen auf das Meer zu und springt ins Wasser. Die anderen lassen ebenfalls die Kleider fallen und rennen, so schnell sie können, mit Geschrei und Gelächter hinterher, dass es nur so spritzt und klatscht.
    Er könnte jetzt demonstrativ auf dem Trockenen bleiben und sich weiter mit dem Buchhändler und dem Mädchen mit den hohen Wangenknochen unterhalten, denkt er, um sich selbst und den anderen zu beweisen, dass es Leute gibt, die ihn interessant finden, und dass er es keineswegs nötig hat, um Aufmerksamkeit zu betteln. Oder er könnte zu Fuß die Straße hinaufgehen, ein Hotel suchen, ins Bett fallen, sich am Morgen zum nächsten Bahnhof bringen lassen und den ersten Zug nach Mailand nehmen, Clare Molettos Nummer aus dem Speicher seines Handys löschen und sie vergessen. Das macht er häufig: in Welten hineinschauen, sich aus Welten zurückziehen. Lange dachte er, ohne diese Eigenart hätte er niemals Romane geschrieben, was vermutlich stimmt; doch inzwischen hat er aufgehört, Schreiben als etwas Verdienstvolles zu betrachten. Vor allem scheint es ihm ein sehr gut konstruiertes Alibi zu sein, um das bittere Gefühl des Selbstausschlusses zu bemänteln und zu rechtfertigen, das ihn jedes Mal überkommt, wenn er ein Angebot ausschlägt und wieder allein seines Weges geht.
    Ohne zu überlegen, reißt er sich die Kleider herunter, rennt aufs Meer zu, stürzt sich mit einem furiosen Kopfsprung hinein. Er schwimmt unter Wasser, so weit der Atem reicht, taucht wieder auf und krault mit wilden Armschwüngen und hektischen Beinschlägen vorwärts. In dem lärmenden, lachenden, spritzenden Gewühl von Menschen ist die Moletto nicht von den anderen zu unterscheiden, aber er sucht sie auch nicht. Tief taucht er mit den Händen ins Wasser, schwimmt mit voller Kraft durch das aufgewühlte, wogende Schwarz aufs offene Meer hinaus, auf den Streifen Mondlicht zu.
     
    In einer schwankenden, lärmenden Gruppe kehren sie in das schlafende Dorf zurück
     
    In einer schwankenden, lärmenden Gruppe kehren sie in das schlafende Dorf zurück; lachend stolpern sie den Weg zur Straße entlang, wo

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