Sie und Er
Dummheit gestritten hatte. Er erzählt, wie er im folgenden Sommer allein wiedergekommen ist und nach einem Haus gesucht hat, weil der Ort ihn nicht mehr losließ. Sie hört ihm zu, versucht nicht, ihm ihre Hand zu entziehen: Es gefällt ihr, so in ständiger Berührung mit ihm auf der Schattenseite der Straße zu gehen, um der heißen Sonne auszuweichen, Hüfte an Hüfte, Schulter an Schulter, Schläfe an Schläfe, sobald sie stehen bleiben, um ein Schaufenster zu betrachten. Wann hat sie eigentlich zum ersten Mal so eine durch reine Nähe hervorgerufene, elektrisierte Erregung empfunden? Ein Nachmittag fällt ihr ein, als sie vierzehn war und mit einem zwei Jahre älteren Freund ihrer Cousine ausgegangen war, der eine umwerfende Art hatte, sich zu bewegen und sie anzusehen und von Rockmusik zu sprechen. Im Kino hatte er ihr dann einen Kuss gegeben, ihre Cousine schaute nicht hin, und am nächsten Tag war er mit seiner Familie nach Chicago abgereist, für immer aus ihrem Leben verschwunden. Jetzt ist die Lage komplizierter, konzentrierter und vielschichtiger, dennoch reagiert sie mit wachen Sinnen auf das kleinste Signal; die kleinste Veränderung zwischen ihrer und seiner Körperhaltung verursacht ihr Herzflattern. Wenn sie es mit ein wenig Distanz bedenkt, merkt sie, wie verkehrt das ist, doch bringt sie diese Distanz nur gelegentlich auf. Ansonsten lässt sie sich von ihren Empfindungen bei der Berührung tragen, von der Bewegung, vom Licht und der Temperatur und seiner warmen, leicht rauhen Stimme an ihrem linken Ohr.
In dieser Atmosphäre gehen sie die ganze Straße zurück, kommen wieder an den Maklerbüros, dem Rathaus, den Cafés und dem kleinen Restaurant vorbei, biegen um die Ecke und gehen bergab zwischen den teilweise renovierten und teilweise heruntergekommenen Gebäuden, vorbei an dem Geschäft mit den bunten Hüten und Seidentüchern, den leeren Schaufenstern, die auf Pächter oder Käufer warten, dem Begräbnisinstitut, dem Geschäft mit alten Bildern, Spiegeln und Rahmen; bei dem alten grünen Jaguar, der neben der Mauer aus großen Steinquadern geparkt ist, bleiben sie stehen.
Er wirft die Tüten mit den Einkäufen auf den Rücksitz, dann hält er die Hand auf: »Der Schlüssel?«
»Aber du hast doch keinen Führerschein.« Sie drückt ihre Handtasche an sich.
»Ach, hier macht das nichts.« Er lächelt. Entwaffnend, unschuldig, beharrlich, ansteckend. Fast unwiderstehlich.
Obwohl sie nicht ganz überzeugt ist, holt sie den Schlüssel aus der Tasche und hält ihn ihm hin.
Er setzt sich ans Steuer, greift nach seiner Sonnenbrille: »Fahren wir?«
»Wohin?« Sie fühlt sich so hin- und hergerissen wie noch nie: angezogen und abgestoßen, offen und ablehnend, nah und distanziert, völlig unfähig, sich für eine Haltung zu entscheiden.
»Die Bücher holen.« Er beugt sich herüber, um die Beifahrertüre zu öffnen, klopft mit der Hand auf den Sitz.
Sie steigt ein, setzt die Sonnenbrille auf, bändigt die Haare mit einem Haarband. Jetzt, denkt sie, kommt es auch nicht mehr darauf an, jetzt will sie bis an die Grenzen dieser Erfahrung gehen und entdecken, was es zu entdecken gibt, damit sie in Zukunft wenigstens nicht mehr die gleichen Fehler begeht. Dann wieder denkt sie, dass sie wie ein Dummkopf alles nur noch schlimmer macht.
Er fährt um die Kathedrale, aus dem Dorf hinaus, nimmt eine schmale Straße, die erst an der Stadtmauer, dann an den Gärten einiger Häuser entlangführt und immer weiter aufs offene Land hinaus. Er hat eine unbekümmerte Art zu lenken, bewegt das Steuer immer nur ganz sachte, als sei es eine Sache des Zufalls oder des Glücks, den Weg zu finden, den er im Kopf hat.
Sie hat sich zurückgelehnt, den glühend heißen Wind im Gesicht und in den Haaren, und ist ganz versunken in die Landschaft: Die Felder weichen einem Pinienwald, der sich zu einer Lichtung mit Olivenbäumen und Weinreben öffnet und wieder zum Wald mit noch höheren Pinien wird, als Daniel Deserti rechts in eine schmalere Straße einbiegt. Je nach Sonne oder Schatten wechseln die Gerüche: glutheiße Erdschollen, balsamische Essenzen, Harz, Staub. Die Straße ist nun nicht mehr geteert; der alte Jaguar holpert auf dem unregelmäßigen Untergrund, manchmal knallt ein Stein gegen den Boden des Autos.
»Weißt du, dass das eine Römerstraße ist?«, sagt er. »Siehst du das antike Pflaster?«
Sie schaut genauer hin, und tatsächlich gibt es breite, helle, flache Steine, die hier und da aus dem Schotter
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