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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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einige Schritte zurück, wenn er beschleunigt, schlendert einige Schritte voraus, wenn er stehen bleibt, und fragt sich dabei unausgesetzt, warum sie das macht und was eigentlich in ihrem Kopf und ihrem Herzen vorgeht.
    Dann sind sie auf einem provenzalischen Markt, zwischen Ständen, Farben und Düften von Peperoni, Pflaumen, Pfirsichen, Aprikosen, Wassermelonen, Honigmelonen und Zucchini, Flaschen mit Öl und Wein, Lavendelsträußen und Knoblauchzöpfen, Honiggläsern und Bienenwachstafeln, Sortimenten von frischem und gereiftem Käse, Schneidebrettern und Schalen, Mörsern und Stößeln aus Olivenholz, Stoffen, Fläschchen mit Duftessenzen, Stimmen, Blicken, Geräuschen, Bewegungen.
    Er unterhält sich mit einer Frau mit Kopftuch und sonnengegerbtem Gesicht, die Tomaten verschiedener Formen und Farben verkauft, goldgelbe, vollkommen runde, orangefarbene wie Ochsenherzen, blassrote breite, gedrungene und tiefrote traubenförmige, jede Sorte hat ihren eigenen Korb. In anderen Körben liegen runde und längliche gelbe Melonen und kleine Wassermelonen mit dunkelgrüner, fast schwarz gemaserter Schale. Die Frau spaltet eine davon in zwei Hälften, zeigt das lebhaft rote Fruchtfleisch, schneidet zwei Scheiben ab und reicht sie ihm. Er reicht eine davon an Clare weiter, die vorsichtig hineinbeißt: Sie möchte vermeiden, dass der zuckersüße laue Saft auf ihr T-Shirt tropft. Er isst seine Scheibe mit wenigen Bissen, spuckt die Kerne auf den Boden, lacht; plötzlich beugt er sich vor und gibt ihr einen Kuss. Sie ist überrascht, weicht aus, aber zu spät, lacht, um ihre Verlegenheit zu kaschieren.
    Auch die Standfrau lacht: »Siehst du, welche Wirkung meine kleinen Wassermelonen ausüben?«
    Er lässt sich eine einpacken, dazu eine Tüte mit kleinen gelben Tomaten und eine mit violetten Pflaumen. Er schaut Clare an, legt ihr den Arm um die Taille, küsst sie erneut auf die Stirn, bevor sie reagieren kann, als wäre es ein Spiel; er nimmt ihre Hand, zieht sie zwischen den Marktständen weiter. Er hat diesen unaufhaltsamen, ansteckenden Schwung; sie weiß nicht, wie sie reagieren soll, lässt sich mitziehen, fragt sich, ob das schlimm ist. Und wie schlimm.
    Sie kaufen ein Holzofenbrot aus Mehl, das in einer Steinmühle gemahlen wurde, einen frischen Ziegenkäse, der in ein Feigenblatt gewickelt ist. »Ist es nicht phantastisch? Und auch, dass wir das später zusammen essen?« Er lacht, schüttelt sie an der Schulter, zeigt auf einen anderen Stand, der von Farben und Düften überquillt. Vielleicht ist es ja doch nicht so wichtig, denkt sie, eine bestimmte Haltung einzunehmen oder sofort die passende Reaktion auf sein Benehmen zu finden, wenn es ihr nur gelingt, einen gewissen Sicherheitsspielraum zu wahren. Vielleicht dürfte sie sogar mal den Ärger und die Schuldgefühle ablegen, so, wie die Nacht gelaufen ist. Sicher, Stefano wäre nicht sehr begeistert, wenn er wüsste, dass sie mit einem anderen Mann in einem Bett geschlafen hat, noch dazu mit einem, den er hasst, aber hier zu sein ist ja im Grund genommen nicht viel anders, als mit ihren Freundinnen essen zu gehen oder zu joggen, ohne es ihm zu sagen. Sie hat es für sich getan, weil sie es brauchte, ohne ihrer Beziehung etwas wegzunehmen, im Gegenteil, vielleicht hilft es, die Beziehung in Zukunft unbeschwerter zu machen, sie von manchen Zweifeln zu befreien.
    Daniel Deserti zieht sie immer weiter, weist sie hier und da auf kleine Details hin, kommentiert, berührt sie am Arm oder an der Hüfte. Sie beugen sich über die Stände, genießen die Formen, Farben und Aromen, nehmen Dinge in die Hand, betasten sie, riechen daran. Sie kaufen ein Fläschchen Lavendelöl, ein Lavendelsäckchen, eine kleine Gewürzmühle aus Glas und Olivenholz mit Kräutern der Provence. Ständig beobachtet er ihren Gesichtsausdruck: »Gefällt dir das? Willst du es?« Es sind einfache Dinge, die wenig kosten; sie hat kein Problem, ja zu sagen oder auch nur zu lächeln, ihm zuzusehen, während er dem Verkäufer das Geld reicht. An einem Messerstand kauft er sich ein kleines Klappmesser mit Kirschholzgriff, dreht und wendet es hin und her, steckt es in die Hosentasche; seine Miene ist so fröhlich, dass er beinahe glücklich wirkt.
    Dann schlendern sie die Straße zurück, Hand in Hand.
    Er erzählt ihr, wie er vor Jahren zum ersten Mal hierherkam, an einem Sommertag, der fast so heiß war wie heute, mit seinen noch kleinen Kindern und deren Mutter, mit der er prompt wegen irgendeiner

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