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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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vor allen seinen Freunden und Kollegen zu demütigen, aber ihr fällt nichts ein. So nimmt sie zuletzt das Schächtelchen und betrachtet den Ring aus der Nähe.
    Das allgemeine Schweigen geht in Beifall, Geschrei und Gelächter über. Jemand bringt Gläser mit Spumante, es gibt Schulterklopfen, Gedränge, Umarmungen, sich streifende Wangen. Marina Recardino und Lauretta rufen: »Küs-sen, küs-sen!«, es bildet sich ein kleiner Chor, der immer mehr anschwillt. Schließlich erhebt sich Stefano, umarmt sie, presst seine Lippen auf ihre, öffnet den Mund, will sich mit der Zunge einen Durchlass erzwingen.
    Mit glühenden Wangen dreht sie das Gesicht zur Seite, versucht, ihn mit beiden Händen wegzuschieben; die Schachtel mit dem Ring fällt zu Boden. Lauretta hebt sie sofort auf, fängt an zu zwitschern, den Ring zu mustern und ihn gemeinsam mit Marina Recardino und anderen Gästen zu kommentieren. Tommaso nimmt Stefano am Arm, boxt ihn ein paarmal spielerisch in den Magen, überhäuft ihn mit Gratulationen und Glückwünschen, frotzelt und neckt ihn in dem Code, den man schwer versteht, wenn man nicht Hunderte von Fußballspielen zusammen mit den beiden am Fernsehen gesehen hat.
    Clare entwischt an eines der Fenster, öffnet es, betrachtet die Magnolien in dem Pseudo-Garten, riecht die heiße, klebrige, eindringliche Mailänder Nacht. Liegt es an einem ererbten Charakterfehler von ihr, fragt sie sich, dass sie sich in einem solchen Moment so schrecklich fehl am Platz fühlt, oder an ihrer kranken Phantasie, die sie immer woandershin zieht, ist sie einfach von Grund auf unvernünftig, unfähig anzunehmen, was ihr angeboten wird, wenn es eine Gegenleistung verlangt - das heißt, fast immer -, und hängt ihr geringes Verständnis für die Regeln und Erwartungen dieser Welt damit zusammen, wie sie ist oder wie die Welt ist? Nun, wie auch immer, sie hat, scheint ihr, keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, um zu einem Schluss zu kommen, denn sie will nur noch eins: bei Daniel Deserti sein. Noch stärker als zuvor spürt sie überall wieder die Empfindungen der zwei Tage und Nächte mit ihm, im Blut, im Herzen, im Magen, im Gehirn, auf der Haut; es gibt nicht einen Millimeter ihres Körpers und ihres Geistes, der nicht von dem Verlangen nach ihm oder einer Erwartung an ihn besetzt ist.
    Jemand tippt ihr auf die Schulter; sie dreht sich ruckartig um. Vor ihr steht die Frau mit dem Bulldoggengesicht, mit einem zu breiten Lächeln, das ihre gebleichten Zähne entblößt. »Und?«, sagt sie.
    »Und?«, wiederholt Clare.
    »Eine Erklärung für die Presse?« Die Frau mustert ihren Ausdruck.
    »Ich komme gleich.« Clare macht eine vage Geste Richtung Toilette; ihre Beine sind schon in Bewegung. Zwischen Köpfen, die sich umdrehen, und Satzfetzen, die ihr folgen, durchquert sie das Wohnzimmer und betritt am Anfang des Flurs ein kleines Gästeklo neben der Küche, in der noch die Leute vom Partyservice hantieren. Sie schließt die Tür, holt das Handy aus der Tasche. Aus Angst, dass nichts gekommen ist, schaut sie nicht sofort auf die Seite mit dem Display, sondern hält es verkehrt herum; dann dreht sie es jäh um und sieht das Symbol für »eingegangene Nachricht«. Als sie es aufmacht und Daniel Desertis Nachricht liest, setzt ihr Herzschlag einmal aus: zweimal, dreimal, eine Hitzewelle steigt ihr ins Gesicht, ihre Augen füllen sich mit Tränen.
    Total aufgewühlt verlässt sie das Klo, geht ein Stück den Flur entlang, späht ins Wohnzimmer. Stefano ist noch umringt von seinen lauten, gestikulierenden Freunden und Kollegen, Marina und Lauretta zeigen lachend den Ring in seinem blauen Schächtelchen herum.
    Sie macht auf dem Absatz kehrt, bevor jemand sie entdeckt, geht rasch zum Eingang, nimmt ihren Rucksack, läuft die Treppe hinunter, tritt zwischen den Magnolien in den Pseudo-Garten hinaus, drückt den Offner für das Metalltor in der Umzäunung. Als sie draußen auf dem Gehsteig in der immer noch heißen Nachtluft steht, schaut sie zu den erleuchteten Fenstern im ersten Stock hinauf, aus denen Stimmen und Gelächter dringen: Sie atmet erleichtert auf, so als wäre sie gerade aus einem Gefängnis ausgebrochen. Dann geht sie weg, so schnell sie kann, aus Furcht, Schuldgefühle oder Pflichtgefühl oder neuerliche Zweifel oder Stefano und seine Freunde könnten sie verfolgen und aufhalten und zurückzerren.
     
    Mario aus der Weinbar begrüßt ihn mit der Aufmerksamkeit, die er für seine Stammgäste aufspart
     
    Mario aus

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