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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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der Weinbar begrüßt ihn mit der Aufmerksamkeit, die er für seine Stammgäste aufspart: Er unterbricht ein Gespräch mit einigen braungebrannten Mädchen, reckt sich über den Tresen und haut die flache Hand gegen die von Daniel, als wären sie echte Freunde. »Was darf ich dir geben?«
    »Hast du kein Gift?«, fragt Deserti ohne Andeutung eines Lächelns. Eine Frau, die Augen geschminkt wie eine alte Ägypterin, dreht sich um, Beine, Arme und Busen zur Schau gestellt in ihrem knappen schwarzen Kleid, und scharwenzelt dann weiter in ihren wadenhohen Stulpenstiefeln in der Bar herum, wobei ihre Füße garantiert bei jedem Schritt im Schweiß hin und her rutschen, sguish sguash. Er weiß überhaupt nicht, warum er hier hereingekommen ist, anstatt weiterzugehen. Seit er sein Handy zertrümmert hat, ist ihm, als habe er alle Leinen gekappt und treibe ohne Kompass, ohne Route dahin, einzig mögliches Ziel der totale Schiffbruch.
    Mario lacht gepresst, weil noch andere Leute da sind, die bedient werden wollen. »Gift nicht, aber alles andere habe ich.«
    »Gib mir einen doppelten Wodka«, sagt Deserti. Im Lokal und vor allem davor auf dem Gehsteig werden unablässig Blicke getauscht, Haltungen und Körperteile feilgeboten wie auf einem Sklavenmarkt, auf dem die Sklaven sich selber anpreisen und ständig den Einsatz erhöhen.
    Mario holt ein Glas aus dem Kühlfach, tunkt es kurz in das gekörnte Eis, schüttelt es, so dass ein paar weiße Splitter am Rand und an den Seiten hängen bleiben, schenkt mit langer, geschmeidiger Geste den Wodka ein.
    Deserti greift nach dem Glas, nimmt mit der heißen Hand die Kälte auf, trinkt einen langen Schluck, ohne sich weit vom Tresen zu entfernen. Sein Herzrhythmus stimmt nicht, auch die Lunge funktioniert schlecht; sein Gehirn ist außer Betrieb, überschwemmt von Bildern von Clare Moletto.
    Er leert sein Glas, geht zurück, um es erneut füllen zu lassen. Dann durchquert er das Lokal, stellt sich draußen auf dem Gehsteig zu den Grüppchen von Männern und Frauen, die trinken und reden und lachen, wie es Clare Moletto in diesem Augenblick sicherlich auch macht, in einem anderen Leben, unerreichbar weit weg.
    In theatralischer Pose, eine Hand in die Seite gestemmt, baut sich eine Blondine in einem türkisfarbenen Kleidchen vor ihm auf: »Siehst du, dass das Glück den Tapferen hold ist, wenigstens manchmal?«
    Es dauert eine Weile, bis er Miriam Lovati erkennt, sonnenverbrannt und mit kürzeren Haaren als bei ihrem letzten Treffen, aber mit demselben Goldschmuck und mit demselben farblosen, zudringlichen Blick. Als er sie kennenlernte, hatte er sie für ein verstörtes junges Mädchen gehalten, Tochter einer übergriffigen Mutter, und natürlich war es schon damals nicht so; er hatte ein paar Monate gebraucht, um das zu kapieren.
    »Ein schöner Flegel bist du«, sagt sie. »Seit Tagen versuche ich, dich anzurufen, und du gehst nie dran. Zweimal hast du sogar aufgelegt.« Sie verzieht den Mund zu ihrem typischen Lächeln, das ihre Lippen spannt und dann zu lange hängen bleibt, als erwartete es einen neuen mentalen Befehl, der nicht kommt.
    »Und du bist unerträglich aufdringlich.« Er versucht nicht im Geringsten, seinen Ton zu mäßigen. Manche von denen, die sich auf dem Gehsteig trinkend und plaudernd selbst promoten, drehen den Kopf, unterbrechen für einen Augenblick ihr Gespräch.
    »Ich wollte meine Kette wiederhaben«, sagt Miriam Lovati. »Ich habe dir auch zwei sms und eine E-Mail geschrieben.«
    »Ich habe sie nicht gelesen«, sagt er. »Ich hatte anderes zu tun.« Er hat nichts gegen sie, ehrlich, aber bei der Vorstellung, sie glaube das Recht zu haben, ihn in einem Moment wie diesem einfach so zu behelligen, möchte er sie vom Gehsteig hinunterstoßen und wegjagen.
    »Mein Vater hat sie mir geschenkt«, sagt sie. »Als ich Examen gemacht habe.«
    »Du hättest sie nicht liegenlassen sollen, wenn sie dir so wichtig ist.« Er trinkt noch einen Schluck und spürt, dass der Wodka ihm Übelkeit verursacht.
    »Willst du sie mir etwa nicht zurückgeben?«, sagt Miriam Lovati herausfordernd, man weiß nicht, wie weit ihre Entrüstung gespielt ist.
    »Du hast sie nur liegengelassen, damit du eine Ausrede hast, um wiederzukommen.« Er hat das Gespräch schon längst satt.
    »Ich will meine Kette!«, sagt sie in dem kindlichen Tonfall, der ihn anfangs rührte, bevor er entdeckte, dass es sich nur um eine Masche handelte.
    »Wenn du wüsstest, wie egal mir deine Kette ist!« Wie

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