Sie und Er
Ersatzteile bekommt und die Reparatur gemacht hat! Und ich habe zwei Wochen Urlaub! Was soll ich tun, hier vor der Werkstatt mein Zelt aufschlagen?«
Sie liest seine Kundenkarte, die sie auf dem Bildschirm geöffnet hat: »Sie haben einen Nissan X-Trail, stimmt’s?«
»Genau!«, schreit der Kunde, als wäre es schon ein Hoffnungsschimmer, dass ihm jemand das Modell seines Autos bestätigt. »Drei Jahre alt, hundertzweitausendfünfhundertzwanzig Kilometer, alle Revisionen ordnungsgemäß durchgeführt! Nie auf offenem Gelände gefahren, nie einen Wohnwagen oder sonst was angehängt! Ausgerechnet jetzt musste mir das passieren!«
»Leuchtet irgendwo ein Warnlämpchen?«, fragt sie. Auf dem Bildschirm öffnet sie den Nissan-Ordner mit den Bedienungsanleitungen für die verschiedenen Modelle im pdf-Format und klickt auf das fragliche Modell.
Roberta die Supervisorin macht mit zwei Fingern das Zeichen einer Schere, was heißen soll: nicht mehr drauf eingehen, kappen! Licia, die Kollegin, steht ein paar Schritte weiter hinten, niedergeschlagen, weil sie es nicht geschafft hat, allein mit dem Anruf fertig zu werden, plötzlich ganz verunsichert, was das für ihre allernächste Zukunft bedeutet.
»Ein Warnlämpchen?«, schreit der Versicherte. Im Hintergrund hört man griechische Stimmen und metallische Geräusche, Schraubenschlüssel oder Hämmer, die klopfen, Motoren im Leerlauf.
»Auf dem Armaturenbrett«, sagt sie, scrollt sich durch die pdf-Datei.
»Genug jetzt!«, sagt Roberta die Supervisorin. »Mach Schluss.«
»Nein, ich seh nichts!«, schreit der Versicherte. »Gar nichts!«
»Ela, Panajotis!«, ruft jemand hinter ihm.
»Versuchen Sie, den Motor anzulassen und noch mal zu schauen«, sagt sie.
»Den Motor?«, schreit der Versicherte. »Sekunde!« Wieder hört man Stimmen, Klopfen, eine zuschlagende Tür.
Roberta die Supervisorin gestikuliert jetzt heftig, kreuzt die Hände wie bei einem Stammestanz.
»Immer mit der Ruhe«, sagt Clare. Eine der positiven Seiten einer zeitlich befristeten Arbeit wie dieser, denkt sie, ist, dass man keine Stellung verteidigen, keine Verdienste anhäufen, keine Strategien erfinden muss, um in der betriebsinternen Hierarchie aufzusteigen. Roberta die Supervisorin und auch Franco der Personalchef haben schon ein paarmal durchblicken lassen, dass sie, wenn sie sich ins Zeug legen würde, eine Erneuerung des Vertrags oder vielleicht sogar eine Festanstellung anstreben könnte, aber sie hat immer wieder ausweichend geantwortet, sie hat keine Lust, über September hinaus Pläne zu machen.
»Hier leuchtet was gelb!«, schreit der Versicherte am anderen Ende der Leitung.
»Beschreiben Sie es mir mal näher!«, sagt sie, auf die pdf-Seite konzentriert.
»Sieht aus wie eine Art Springbrunnen oder so!«, schreit der Versicherte.
»Wie durch ein Fenster gesehen?«, fragt sie.
Roberta die Supervisorin wedelt wütend mit den Armen, um ihr zu signalisieren: Schluss jetzt, Schluss.
»Ja, ungefähr!«, schreit der Versicherte, er weiß nicht, ob das nun eine schlechte oder eher eine gute Nachricht ist. »Was bedeutet das? Dass das Öl aus der Dichtung des Zylinderkopfs sprudelt?«
»Es ist der Filter des Kat«, sagt Clare. »Sie müssen bloß etwa zehn Minuten lang über achtzig fahren, dann reinigt er sich von selbst.«
»Von selbst?«, schreit der Versicherte ungläubig.
»Ja«, antwortet sie. »Das ist alles.«
»Sind Sie sicher?«, schreit der Versicherte. »Und der Zylinderkopf? Und der Mechaniker?«
»Der Zylinderkopf hat nichts damit zu tun«, sagt sie. »Sagen Sie dem Mechaniker ruhig, dass Sie ihn nicht mehr brauchen.«
Roberta die Supervisorin schüttelt den Kopf und geht zu einem anderen Platz. Kollegin Licia kommt näher und starrt über Clares Schulter auf den Bildschirm.
»Signorina, wenn das stimmt, haben Sie meinen Urlaub gerettet!«, schreit der Versicherte, noch nicht ganz überzeugt, aber doch schon hörbar erleichtert. »Wenn es der Filter ist, bin ich Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet!«
»Keine Ursache, ich habe nur in die Bedienungsanleitung geschaut«, erwidert sie. »Ich vermute, Sie haben auch eine im Auto. Schönen Urlaub.«
»Ihnen auch!«, schreit der Versicherte, nun schon ganz euphorisch, dass er der Gefahr entronnen ist. »Ah, alles Gute bei der Arbeit, wollte ich sagen! Danke! Tausend Dank, Signorina! Wirklich!«
Sie steht auf, überlässt Licia den Stuhl. Von weitem beobachtet Roberta die Supervisorin sie immer noch, dreht sich aber sofort
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