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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Taschenbuchausgaben und Buchklub sind wir jetzt auf über neunhunderttausend.«
    »Na siehst du, die Zukunft des Verlagswesens ist keineswegs gefährdet«, sagt Deserti. »Bei so einer Gegenwart!«
    »Keiner mehr als ich hat in drei Monaten schon die vierhundertsiebzigtausend überschritten«, sagt Zattola unbeirrbar. »Und wir drucken immer noch nach. Im Oktober oder November kommt der Film, dann wird es gleich noch mal anziehen.«
    »Ja, aber das ist nichts im Vergleich zu Ihnen!«, wirft Pino Noce ein. »Wie viel hat Der Blick des Hasen verkauft, eine Million Exemplare?«
    »Eine Million einhunderttausend im Hardcover«, sagt Zattola. »Dazu noch ich weiß jetzt nicht mehr wie viel im Taschenbuch und im Klub.«
    »Und in wie viele Sprachen ist es übersetzt worden?«, fragt Pino Noce. Unter seinem Gehabe des großen Kindes, das voller Bewunderung ist, hört man deutlich eine rivalisierende Note heraus.
    »Zweiunddreißig«, sagt Zattola, »die Raubdrucke in Russland, Singapur und Neapel nicht mitgezählt.«
    »Dann gab es natürlich noch den Film!«, sagt Pino Noce. »Mit Jeff Dawkins und Danah Tierson, sagenhaft! Sie war die schönste Frau der Welt, unvergesslich. Einmal musste ich ihr die Goldene Tulpe von Canale Cinque überreichen, mir haben die Knie gezittert, ich schwöre es! Ich habe ihr gesagt, dass ich mit fünfzehn ein Poster von ihr in meinem Zimmer über dem Bett hängen hatte.« Er schneidet eine Grimasse, vielleicht um auf die Selbstbefriedigungsakte hinzuweisen, zu denen ihn das Plakat inspirierte. Zattola zuckt nicht mit der Wimper.
    Deserti sieht ihn mit einem Ausdruck an, von dem er hofft, er möge seinen ganzen Abscheu widerspiegeln, und nimmt noch einen großen Schluck Wodka. Er versucht sich zu erinnern, ob von seinem letzten Buch, in das er seine besten geistigen und emotionalen Fähigkeiten hat einfließen lassen, fünfundvierzig- oder sechsundvierzigtausend Exemplare verkauft worden sind. Er denkt an das Heer von Unbekannten, die auf der ganzen Welt den Blick des Hasen gelesen hatten, als ob es eine Art gesellschaftliche Pflicht wäre, der man dringend nachkommen müsste, um dann zu zerfallen und zu verschwinden, als er nicht mit einem neuen überwältigenden Roman, sondern mit den trostlosen Visionen von Falscher Schritt und Notizen aus dem Nichts daherkam.
    »Das mit den Filmen haben wir auch gemeinsam.« Pino Noce beugt sich über den Tisch, begierig, sich zu verbünden, mögliche Vorteile zu ergattern, Verdienste zu erwerben, sich zu adeln und mit fremden Federn zu schmücken.
    »Was haben wir denn sonst noch gemeinsam?«, fragt Deserti mit leicht geneigtem Kopf.
    »Si parva licet, natürlich.« Pino Noce lächelt gespielt verlegen oder vielleicht tatsächlich ein bisschen verlegen und breitet die Arme aus.
    Deserti leert sein Wodkaglas, winkt dem Kellner, ihm noch einen zu bringen. »Was sonst?«
    »Na ja, dass wir beide schreiben…«, sagt Pino Noce. »Dass wir beide damit angefangen haben, als wir noch klein waren…«
    »Klein?« Deserti spreizt Daumen und Zeigefinger, um die Größe anzuzeigen. »Benutzen Sie diese unglaublich kindische Sprache auch in Ihren Büchern?«
    »Hm«, macht Pino Noce. »Ich weiß nicht, ich versuche, so zu schreiben, wie ich rede.« Er versenkt sein Gesicht in dem Bierglas, verbirgt seine Augen.
    »Und was treibt Sie zum Schreiben?«, fragt Daniel Deserti. »Abgesehen davon, dass Ihr Manager Ihnen dazu geraten hat?«
    »Oho, gute Frage -« Pino Noce setzt das Bierglas ab, spielt mit seiner Sonnenbrille, die auf dem Tisch liegt. »Ich weiß nicht recht, vielleicht dass ich erzählen will, wie ich mich fühle, was mir so passiert, keine Ahnung.« Er wirkt verunsichert, hat fast aufgehört zu lächeln und zu zwinkern, sein Ausdruck grenzt an Verwirrung. Einen Moment lang scheint er nur das zu sein, was er ist, ein kahlköpfiger Neununddreißigjähriger mit Spitzbart, der berühmt geworden ist, weil er sich im Fernsehen zum Narren macht.
    »Das macht doch seit je die Literatur aus, oder?«, wirft Zattola ein, um ihm zu Hilfe zu eilen. Seine Miene hat sich etwas verdüstert: Das Letzte, was er möchte, ist, dass jemand Zweifel sät im Kopf seines Autors für garantierte Bestseller.
    »Erzählen, wie man sich fühlt, ich weiß nicht recht, keine Ahnung?« Deserti umklammert sein Wodkaglas wie eine potentielle Mordwaffe.
    Ein blasser, ungesund aussehender Herr mit schütterem, am Kopf klebendem Haar tritt an ihren Tisch, ein etwa fünfzehn- bis

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