Sie und Er
antwortet Matilde, aber in einem Ton und mit einem Blick, die ziemlich zweideutig sind.
»Ich muss gehen, ciao.« Sie verlässt die Küche, bevor Matilde sich unversehens am Herd wiederfindet, um die Koteletts zu wenden.
Sie zieht sich in drei Minuten um, läuft die Treppe hinunter, geht schnell den Bürgersteig entlang, überquert die große Kreuzung mit dem dröhnenden Verkehr aus allen Richtungen, erreicht die Allee mit der endlosen Mauer und beginnt zu rennen. Dieser Teil der Stadt ist abends nicht ideal für eine Frau allein, denkt sie, bedrängt von den anzüglichen Blicken von Passanten und von den langsamer werdenden Autofahrern, die ihr aus den geöffneten Fenstern nachpfeifen oder hinterherrufen. Sie trägt ein weißes T-Shirt und einen geblümten Baumwollrock vom Markt, die zwar Beine und Arme nicht ganz bedecken, aber doch alles andere als aufreizend sind. Ihr fällt ein, dass sie einmal zu einer Verabredung mit Stefano gekommen war und er sie gefragt hatte: »Warum so ein kämpferisches Gesicht?«, worauf ihr bewusst geworden war, wie sehr sich ihre Züge verkrampft hatten, um sich unterwegs vor den Blicken und Kommentaren der Männer zu schützen. Jetzt versucht sie, nicht darauf zu achten: Sie schaut geradeaus vor sich hin und rennt schnell, auch wenn sie nicht die richtigen Schuhe anhat.
Als sie bei Stefano ankommt, ist sie ganz verschwitzt, doch er bemerkt es gar nicht. Er führt gerade ein Abeitsgespräch: Er öffnet ihr die Tür und redet weiter an seinem schnurlosen Telefon, geht in dem eisigen, von der auf Hochtouren laufenden Klimaanlage heruntergekühlten Wohnzimmer auf und ab. »Ja, absolut«, sagt er, »da besteht nicht der allergeringste Zweifel.«
»Das ist nicht nur sicher, sondern bom-ben-si-cher«, sagt er. Sie geht ins Bad, zieht ihr T-Shirt aus, wäscht sich das Gesicht und die Achseln, trocknet sich ab, hört ihm von hier aus zu. Es ist merkwürdig, anfangs irritierte sie diese Vortäuschung von Sicherheit, jetzt dagegen findet sie sie eher rührend, weil es ihr vorkommt wie eine Selbstverteidigung gegen die unkontrollierbaren Seiten des Lebens. So als zeigte sich darin die ständige Bemühung, eine mentale Ordnung aufrechtzuerhalten, sich vor den Gefahren des Unvorhersehbaren und der Phantasie zu schützen. Hierin liegt natürlich auch der Ursprung ihrer Missverständnisse; doch wenn man nach etwas sucht, das man selbst nicht hat, findet man es am ehesten bei jemandem, der einem nicht in allem gleicht. Die kleine Unzufriedenheitsfabrik steht nie still, nie.
»Wir sitzen felsenfest im Sattel«, sagt Stefano im Wohnzimmer. »Hundert pro.« Er ist nicht nur so; er hat auch eine sensible, ja zerbrechliche Seite, wenn man ihn gut kennt. Er liebt die Literatur und die Poesie, kann auswendig Gedichte von Shelley und Ungaretti und Seferis aufsagen, zu ihrem letzten Geburtstag hat er ihr eine wundervolle alte Ausgabe von Eugenio Montale mit einem verblassten grünen Leineneinband geschenkt - sie war ganz überwältigt. Außerdem ist auch dieses Telefonat Teil eines gesellschaftlichen Zeremoniells, wenngleich es etwas theatralischer ist als das Muster, dem sie jeden Tag mit ihren Versicherten folgt.
Sie geht in die Küche, dreht den Wasserhahn auf, trinkt aus der hohlen Hand. Nach ihrem brüsk abgebrochenen Versuch zusammenzuleben hat sie beschlossen, ihre Vertrautheit mit dieser Wohnung auf das Notwendigste zu beschränken. Sie verhält sich lieber wie ein diskreter Gast: Ihre einzigen persönlichen Sachen hier sind eine Zahnbürste in dem Glas über dem Waschbecken und ein Nachthemd, das im Schlafzimmer hängt. Es macht sie leicht verlegen, wenn sie an die Monate denkt, in denen sie sich nach Kräften bemüht hat, alles sauber und in Ordnung zu halten, die Böden zu fegen, Blumen im Wohnzimmer aufzustellen, das Abendessen zu kochen, zu spülen. Sie hatte es aus weiblichem Instinkt getan, um sich selbst zu beweisen, dass sie es konnte, als Reaktion auf das ewige Durcheinander Albertos mit seinen Joints, seinen Espressotässchen und Whiskygläsern, die er überall herumstehen ließ, mit seiner nie gewechselten Bettwäsche, seinen Freunden, die er spontan einlud, um mit ihnen bis zum Morgengrauen herumzusitzen und zu grölen, und seinen Liedern, die er zu jeder Tages- und Nachtzeit lauthals sang. Allerdings war das Ergebnis wohl nicht so gelungen, wenn Stefano ihre Anpassungsbemühungen als Verletzung seiner Privatsphäre empfunden hat. Seit sie aber Hals über Kopf beschlossen hat, die
Weitere Kostenlose Bücher