Sie und Er
geschickten Gläser mit eingemachten Tomaten und in Essig eingelegtem Gemüse und Mandelgebäck, der eifersüchtige Verlobte, der sich mit Mama bespricht und jede Bewegung seiner Liebsten aus Hunderten Kilometern Entfernung kontrolliert, die Flugpläne und die am Kühlschrank aufgehängten Kalorienpläne, gute Vorsätze für Diäten, die mit plötzlichen Fressgelagen abwechseln, die zwanghaft gekauften Schuhe und Kleider. Auch der Kontrast zwischen der häuslichen Schlampigkeit und der krampfhaften Sorgfalt, mit der sich Matilde für draußen stylt, schien ihr interessant: die ausgetretenen Pantoffeln und die zentimeterdicke Brille, die Gewohnheit, auf einen Ellbogen gestützt zu essen und dabei unverwandt auf den Fernseher zu starren; und dann die hektische Arbeit mit Make-up und Lidschatten und Kajalstift und Enthaarungswachs, die Spitzenunterwäsche, die Zwölf-Zentimeter-Absätze, das raffinierte Ankleiden, jedes Mal, wenn sie ausgeht, so als müsste sie im Fernsehen auftreten.
Jeder, denkt sie, ist sich bis zu einem gewissen Punkt bewusst, dass er an einem gesellschaftlichen Theater teilnimmt, dennoch meint sie, dass sie nicht direkt zu einer anderen Person wird, wenn sie sich in der Außenwelt bewegt. Sie fragt sich, ob ihre Art, in jeder Situation sie selbst zu sein, nicht womöglich eine Schwäche ist, eine Unfähigkeit, Masken zu tragen, die sie etwa in beruflichen Beziehungen schützen könnten, vielleicht auch in Freundschafts- und Liebesbeziehungen. Stefano zum Beispiel behauptete am Anfang, ihre Natürlichkeit sei hinreißend; ununterbrochen stellte er Vergleiche an mit der anstrengenden Künstlichkeit seiner vorherigen Freundinnen. Dennoch ist der Ton, mit dem er diesen Unterschied hervorhebt, nach und nach distanzierter geworden, ja es klingt sogar eine gewisse Enttäuschung darin an. Manchmal scheint es ihr, als gebe es zwischen zwei Personen, die zusammen sind, eine kleine, rund um die Uhr arbeitende Unzufriedenheitsfabrik.
»Mit dem dauernden Schreckgespenst, auf Kurzarbeit gesetzt zu werden.« Matilde wendet die schon leicht verbrutzelten Lammkoteletts.
»Was letztendlich Kündigung bedeutet?«
Matilde dreht die freie Hand hin und her, um zu sagen: Könnte sein.
»Das ist schlimm«, sagt sie. Was sie immer wieder erstaunt, ist der Mangel an Neugier und Aufmerksamkeit bei den anderen. Jedes Mal, wenn sie jemanden trifft, der etwas tut oder denkt, was sie nicht kennt, möchte sie zweitausend Fragen stellen, Informationen einholen, zuhören, bis sie meint, etwas gelernt oder verstanden zu haben. Doch wenn sie sich umschaut, kommt es ihr vor, als würden die meisten Leute stur ihren Weg gehen, ohne Augen und Ohren für irgendetwas, was nicht eine unmittelbare Bedrohung darstellt oder einen unmittelbaren Vorteil oder unmittelbare Befriedigung verschafft. Und diese Haltung zeigt sich nicht nur bei Bekannten, sondern auch bei den engsten Freundinnen und Freunden, auch bei Stefano, der sich bei jeder Gelegenheit in allen Einzelheiten über seine Arbeit auslässt oder sich in ebenso minutiösen Rekonstruktionen seiner Familiengeschichte ergeht und dann sehr schnell das Interesse verliert, sobald sie etwas erzählen oder erklären will. Er unterbricht sie, wechselt das Thema, wandert im Zimmer auf und ab, wird unruhig, erinnert sich auf einmal daran, dass er dringende Telefonate erledigen muss.
Auch Matilde ist ein gutes Beispiel für diese Haltung, denn sie könnte stundenlang über die Lage der Fluggesellschaft reden, über den Konflikt mit ihrer Schwester, weil ihre Mutter sie gegeneinander ausspielt, über die pornographischen Fixierungen ihres Verlobten, über die Maßlosigkeit beim Essen, die sie häufig überfällt, über die Enthaarungstechniken, die sie im Lauf der Jahre vervollkommnet hat. Doch sobald Clare versucht, über etwas anderes zu sprechen, verflüchtigt sich ihre Aufmerksamkeit: Ihr Blick wird unstet und leer. Deshalb hört Clare ihr zu, wenn sie meint, dass Matilde es wirklich braucht, aber ansonsten durchquert sie still den Flur, geht rasch ins Bad, schließt sofort die Tür. Wenn nicht ein emotionaler oder familiärer Notstand ihre Hilfe erfordert, bleibt sie in der Zeit, die sie zu Hause verbringt, lieber in ihrem Zimmerchen und liest, macht Gymnastik, denkt nach oder sitzt am Computer.
Matilde blickt auf die Uhr an der Wand: »O Gott, es ist schon halb neun, in einer halben Stunde kommt Nunzio, und ich muss mich noch zurechtmachen!«
»Nunzio?«, fragt sie.
»Ein Kollege«,
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