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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eingehämmert hat. Man kann durch die Gegend gehen, als sei man hier aufgewachsen. Nichts ist mehr fremd. Noch zweihundert Meter, und der Weg muß sich gabeln …
    Es war so. Duskow setzte sich auf einen Grenzstein an der Weggabelung, wischte den Schweiß vom Gesicht und betrachtete ein Gehöft, das – wie alle Häuser in russischen Dörfern – mit einem Zaun umgeben war. Kirschbäume standen im Garten, das Gemüsebeet war sauber geharkt, kein Pflänzchen Unkraut zu sehen, und die hölzernen Fensterläden waren sogar lackiert, in einem Blau, als habe man ein Stück Himmel an das Haus geschmiert. Alles glänzte vor Sauberkeit, und für die Gartengeräte gab es einen offenen Schuppen, wo sie an der Wand hingen. So etwas fällt auf. Was Duskow aber noch mehr interessierte, stand vor dem Gartentor.
    Ein Auto. Ein richtiges Auto, wahrhaftig! Gewiß, ein uraltes Modell mit schwarzgestrichenem Kastenaufbau, aber da die Räder hoch mit Staub bedeckt waren, schien es noch intakt zu sein. Es hatte eine Moskauer Nummer, die einzeln auf die Kotflügel gesetzten Scheinwerfer trugen schwarze Wachstuchüberzüge mit kleinen Lichtschlitzen. Wie bei uns in Deutschland, dachte Duskow. Verdunkelung gegen die Flugzeuge. Eine Nachtfahrgenehmigung aber bekommen nur wichtige Personen, Behörden oder kriegswichtige Betriebe. Was ist hier in Alexandrow kriegswichtig? Der Natschalnik der Ziegelei? Möglich.
    Duskow sprach ein paar Worte mit sich selbst und entschloß sich dann, entgegen der Ansicht von Oberst von Renneberg, der empfohlen hatte, Wagnissen aus dem Weg zu gehen, bis man in Moskau war, in diesem besonderen Falle wieder mit Frechheit sein Glück zu beeinflussen.
    Er schlenderte hinüber zu dem schmucken Bauernhaus, betrachtete die Holzschnitzereien am Giebel, strich dann am Zaun entlang und blieb vor dem Auto stehen. Mit Erstaunen sah er, daß der Zündschlüssel steckte. Der Wagen war fahrbereit. So viel Glück gibt es gar nicht, dachte er. Aber das Glück wäre erst vollkommen gewesen, hätte er das Auto mit gestecktem Schlüssel in der Nacht entdeckt. Was nützte es jetzt? Natürlich – man konnte hineinspringen, den Motor starten und davonbrausen. Aber wie weit kam man damit? Sofort würde es Alarm geben, und es war anzunehmen, daß die Telefonleitungen intakt waren und die Besatzung der nächsten Milizstation ausrücken würde. Bis Sagorsk kam man nie, auch nicht auf Schleichwegen.
    »Wenn es Nacht wäre …«, sagte Duskow laut. Er öffnete die Tür, setzte sich hinter das Lenkrad und betrachtete den Schlüssel. Dann hätte ich ihn im Leerlauf die Straße hinuntergeschoben und dann erst gestartet. Wer weiß, welchen Krach der alte Motor macht?
    Es gibt im Leben eine Sekunde – wirklich, mehr ist es manchmal wirklich nicht –, die Grundstein eines völlig neuen Schicksals wird. Das hat mancher von uns schon einmal erlebt. Einen Herzschlag lang ist man wie gelähmt, und dann dreht sich das Lebensrad weiter, aber mit einer anderen Geschwindigkeit oder gar in eine andere Richtung. Man kann sich nicht dagegen wehren, selbst wenn man noch fähig ist, vernünftig zu denken, und diese Vernunft einem sagt: Tu es nicht! Lauf weg! Guck in eine andere Richtung! Halt dir die Ohren zu! – Aber wer hört schon auf seine Vernunft, wenn ihm widerfährt, was jetzt Duskow hinter dem Lenkrad erstarren ließ.
    Die Tür des schmucken Bauernhauses öffnete sich. Nicht ein dicker, vom sonderzugeteilten Fressen aufgeblähter Natschalnik kam in den Vorgarten, sondern ein Wesen, dessen Anblick Duskow traf wie ein Hammer, der schwer gegen sein Herz schlug.
    Sie war für eine Frau verhältnismäßig groß, aber ihre Größe lag in ihren schlanken Beinen, die Zweidrittel ihres Körpers ausmachten. Trotz der derben Schuhe, die sie trug, sah Duskow unter dem glockigen, hellroten Baumwollkleid die wohlgeformte, schlanke Schönheit ihrer Beine, die sich bei jedem Schritt durch den dünnen Stoff drückten. Aber wenn dies alles gewesen wäre! Jeder Teil dieser Frau war ein Kunstwerk der Natur, das Duskows Blicke geradezu mit Beklemmung abtastete. Die vollen Brüste, die Schultern und die wiegenden Hüften, übergehend in die sanften, aber aufregenden Rundungen des Gesäßes, die nackten Arme, die beim Gehen leicht pendelten – und dies alles gleichsam untergeordnet einem Kopf, einem Gesicht, wie es Duskow noch nie gesehen hatte. Es war breitflächig, aber nicht breit; die hochangesetzten Wangenknochen und die etwas schräggestellten, tiefschwarzen

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