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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Toten konnten sich ja nicht wehren, und Awdej Jefimowitsch, der Sarghändler, fand es schön und weinte manchmal sogar echte Tränen, wenn ich zum Abschluß einen Triller hinsetzte.«
    »Hören Sie auf!« sagte die Ärztin. »Sie reden viel und dumm.«
    »Aber so war es, Genossin! Ich war sehr begabt. Doch des Menschen Wege sind verschlungen. Ich wurde nicht Pianist, ich studierte auch nicht – ich lernte Schuhmacher. Das Schicksal bestimmte mich dazu. Ein Onkel, der Bruder meiner Mutter, starb und hinterließ seine Schusterwerkstatt. Wer mußte sie übernehmen? Ich natürlich! Die Familie befahl es einfach. Aus war es mit dem Klavierspiel – aber ich lernte den Hammer schwingen, im Takt sogar; eine Sohle, soll sie gut angeheftet sein, muß im Takt angeschlagen werden. Und da sagte ich mir: Musikalisch bist du, schlagen kannst du jetzt auch – mach was draus! Also wurde ich in unserem Stadtorchester Paukist!«
    »Steigen Sie ein!« sagte die Ärztin. »Los! Glotzen Sie nicht so erbärmlich! Ich muß nach Moskau zurück – Sie können mitfahren! Ihr Leben können Sie auf der Fahrt erzählen – wenn Sie bis Moskau damit fertig werden.«
    Duskow rannte um den Wagen herum, riß die andere Tür auf und schwang sich auf den Sitz. Geschafft. Der Weg nach Moskau war frei! In Rußland muß man reden können. Reden, daß es wie ein Wildbach rauscht. Wer intensiv redet, dem hört man zu und fragt ihn nicht. Für eine gute Geschichte hat man immer Zeit und ein weiches Herz dazu.
    Der Ärztin fuhr an. Der Motor jammerte auf, der Wagen machte einen Sprung nach vorn und schlingerte dann über die Straße. Duskow hielt sich am Armaturenbrett fest.
    »Oje!« schrie er. »Oje! Zuviel Gas! Und die Kupplung läßt sie abschnellen wie ein Katapult! Die Lenkung ist ausgeschlagen, und die Federung weint …«
    »Aber er fährt«, sagte sie laut und etwas höher im Tonfall. »Wenn Sie über die Straßen schweben wollen, wandern Sie nach Amerika aus. Da soll es Autos geben, bei denen man gar nicht merkt, daß man fährt! – Hier ist Rußland, bald im vierten Kriegsjahr!«
    Sie hielt den Wagen mitten auf der Ausfallstraße nach Sagorsk an und sprühte Duskow mit ihren dunklen Blicken an. »Können Sie es besser?«
    »Oh, all ihr verbotenen Heiligen … wenn Sie mich 'ranlassen! Ich darf wirklich wieder fahren? Mit meinem Loch in der Hüfte? Es fallen noch Wunder vom Himmel.«
    Sie stiegen aus, wechselten die Plätze und drückten sich in das zerschlissene Polster. Duskow umklammerte das Lenkrad – seine Finger fuhren zärtlich über das alte Holz.
    »So könnte ich keine Frau streicheln«, sagte er ergriffen. Er spielte seine Rolle meisterhaft.
    »Fahren Sie!« Das war laut gesprochen. Duskow gab wohldosiert Gas, nahm die Kupplung sanft zurück und rollte ruckfrei an. Die Ärztin sah ihn von der Seite an. »Na ja … Was wollen Sie in Moskau?«
    Duskow erzählte es ihr. Es klang gut, glaubhaft und forderte keine Fragen heraus. Dafür benahm sich der alte Wagen wie ein störrisches Pferd, das von Meter zu Meter bockiger wurde und sich zu schütteln begann. Duskow klopfte auf das Lenkrad und zog ein nachdenkliches Gesicht.
    »Ein Zylinder weigert sich … vielleicht sind's auch zwei. Das muß ich Ihnen erklären. Mit Zylindern bin ich aufgewachsen. Als Klavierspieler bei den Begräbnissen wimmelte es manchmal – vor allem bei den reichen Toten – von Zylindern. Dann lernte ich die Autos lieben, und da sah ein Zylinder ganz anders aus …«
    »Ich werfe Sie gleich aus dem Wagen, wenn Sie weiter so reden, Leonid Germanowitsch!«
    »Ich wollte es ja nur erklärt haben.«
    Schweigend fuhren sie weiter, bis kurz vor dem Dorf Krasnozawodsk der Motor einen dumpfen, fast tierischen Schrei von sich gab und dann schwieg. Duskow zuckte zusammen, drehte den Zündschlüssel auf Aus und blies in seine Handflächen, als habe er sie verbrannt.
    »Was nun?« fragte er.
    Die Ärztin saß groß, schlank und märchenschön neben ihm und starrte auf die im Sonnenlicht von der heißen, flimmernden Luft wie verzogene Straße. »Was soll das?« fragte sie zurück.
    »Der Motor ist gestorben, Genossin! Ich möchte jetzt ›Wie das Glöckchen traurig klingt‹ spielen!«
    »Idiot!« sagte sie wieder, öffnete die Tür, sprang aus dem Auto, lief zur Motorhaube und klappte sie hoch. Ein beißender Geruch von heißem Stahl stieg sofort auf. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück und schabte die Handflächen an ihren herrlichen Schenkeln ab. Duskow stieg

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