Sie waren zehn
Augen, der vollippige Mund und die schmale, gerade Nase ergaben die Komposition eines Gesichtes, dessen Harmonie nicht zu übertreffen war. Das schwarze Haar war lang; mit einem roten Tuch war es im Nacken zusammengebunden. Die Enden des Tuches wehten beim Gehen über ihre Schulter.
Haben wir eben ›Gehen‹ gesagt? Unhöflich ist das, meine Lieben! Kein Gehen war's … ein Federn war es, ein lautloses, katzengleiches Schreiten, bei dem jede Bewegung wie ein sichtbarer Herzschlag war. Was da über den Weg durch den Vorgarten zum Auto kam, war ein herrliches Tier mit menschlichen Formen.
Duskow atmete tief seufzend aus und kletterte aus dem Wagen. Die Frau blieb am Gartentor stehen. Der leichte Wind drückte den Rock gegen ihre langen Beine. Duskow zwang sich, nicht dorthin zu sehen, wo die Oberschenkel sich im Rumpf trafen.
»Sie wollten also gerade meinen Wagen stehlen, Genosse?« sagte sie. Ihre Stimme war dunkelgetönt und in keiner Weise scharf zurechtweisend, anklagend oder erregt.
Duskow stand steif da, als überriesele ihn ein heißer Regen – sein ganzer Körper war Gehör. »So ist es, Genossin!« sagte er. Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor – es war, als fiele in einen weichen Celloklang plötzlich eine schnarrende Klarinette ein. »Ich stehe hilflos davor …«
»Sie saßen bereits …«
»Ich habe sechs Jahre lang bei der Armee Autos gefahren, Genossin. Was sage ich? Gefahren? Geliebt habe ich sie! Vom schweren Lastwagen bis zum Hüpfer. Keinen Typ gibt es, dessen Motor von mir kein Gas bekommen hat! Zuletzt habe ich einen Genossen General gefahren, das war eine Freude. Und plötzlich, wegen eines Schusses in die Hüfte, soll ich das nicht mehr können? Sagt man zu mir: ›Leonid Germanowitsch, bist ein guter Autofahrer, aber mit deinem Loch in der Hüfte, das mußt du doch einsehen … Keinen General mehr. Stell dir vor, du bekommst plötzlich ein Zucken im Bein und fährst den General in einen Graben. Oder gegen eine Mauer! Oder wer weiß wohin? Nicht auszudenken, Leonid Germanowitsch! Gib das Autofahren an den Genossen mit keinem Loch in der Hüfte ab und spezialisiere dich aufs Laufen!‹ – Das sagt man zu mir! Zu mir! Zu Leonid Germanowitsch Duskow, der jedes Auto von innen besser kennt als der Doktor einen menschlichen Körper! Ich darf nicht mehr fahren! Können Sie das verstehen? Und dann, nach ein paar Wochen ohne Auto, wurde es ganz schlimm. Immer, wenn ich ein Auto sehe, überfällt es mich! Ha, eine wilde Sehnsucht ist das, hinter einem Steuer zu sitzen. Das Gaspedal zu fühlen! Die Bremsen! Die Kupplung! Und dann das Brummen des Motors … Genossin, warum hat Tschaikowskij keine Sinfonie für einen Motor geschrieben?«
»Damals gab es noch keine Autos«, sagte die sanfte Cellostimme.
»Was hat Tschaikowskij versäumt!« rief Duskow enthusiastisch. »Ein Auto ist wie eine immer bereite, mit allen Fasern ihres Körpers zitternde Geliebte. Wenn ich ein Auto sehe … hach, da ist ein Drang in mir … Genossin, vielleicht bin ich ein Psychopath?!«
»Möglich!« Das herrliche Weibtier lachte. Sie kam durch das Vorgartentor und tippte mit dem ausgestreckten Zeigefinger ihrer rechten Hand gegen Duskows Stirn. Ihm war, als glühe jeder Tupfer auf wie ein winziger feuriger Einschlag. »Das werden wir gleich feststellen«, sagte sie mit der gleichen warmen Stimme. »Sie haben doppeltes Pech, Genosse. Ich bin Ärztin.«
Duskow lächelte beglückt. Laß dich umarmen, unvergleichliches, herrliches Rußland, dachte er. Eine Ärztin ist sie! Daher die Sondergenehmigung für das Auto. Mit einer Moskauer Nummer. Was macht sie da in Alexandrow?! Wenn sie mich mitnimmt nach Moskau, den armen Rotarmisten mit dem Loch in der Hüfte, der so geil auf das Auto ist, dann stehe ich am Abend schon auf dem Roten Platz und bin untergetaucht im Millionenheer der Moskauer.
»Soll ich mich ausziehen?« fragte er. Ihre Augen waren so groß und schwarz, daß er schnell dachte: Ob sie die Augen jeden Morgen putzt? So einen Glanz bekommt man nur durch Putzen. Aber selbst Hans Briszliszky, sein Bursche, der die Reitstiefel wienerte, bekam diesen Glanz nicht heraus. Dabei hatte Hauptmann Venno Freiherr von Baldenow immer die blankesten Reitstiefel des Regiments! Hauptmann von Baldenow? Vorwärts, du Idiot: Du bist Duskow, gelernter Schuhmacher aus Kasan, aus der Roten Armee entlassen wegen eines Hüftschusses und wegen eines Lungenleidens und arbeitsverpflichtet als Rangierer … Der frischen Luft wegen! Jetzt
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