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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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saß ergriffen vor den Röntgenbildern, die nichts zeigten, was nach Ulcus ventriculi aussah. »Sie sind ein Psychopath, Luka Iwanowitsch. Ein Hysteriker! Ihr Magengeschwür ist ein hysterisches Syndrom!«
    »Unheilbar also.« Petrowskij faltete die Hände. »Wie lange lebe ich noch?«
    »Sie Idiot! Sie sind gesund!«
    »Aber der Armeearzt …«
    »Ein Rätsel ist das! Was hat der Kollege bloß gesehen?! Oder haben Sie schon eine Rollkur hinter sich?«
    »Eine was, Genosse?« fragte Petrowskij verwirrt.
    »Im Bett! Mal links … mal rechts …«
    »Noch nie! Ich kenne nur vorn und hinten.«
    »Sie sind ein Saustück, Petrowskij!« sagte Dr. Speschnikow und beendete die Untersuchung. »Sie bekommen jetzt Ihren Stempel und eine Karteikarte in der Verwaltung. Sie stehen als ambulanter Patient unter ständiger ärztlicher Kontrolle. Da brauchen Sie hier offiziell kein Bett. Und wenn Sie jemand fragt, sagen Sie: Ich gehöre zur Forschungsabteilung. Da läßt Sie jeder in Ruhe. Dann sind Sie nämlich ein unklarer Fall, und man wird Ihnen aus dem Weg gehen, weil man nicht weiß, welche verteufelte Krankheit Sie mit sich herumtragen.« Petrowskij bedankte sich bei Dr. Speschnikow, aß mit Appetit das Frühstück aus glitschigem Brot, Ersatzmarmelade und schleimigem Grießbrei, schlief dann drei Stunden und wusch sich nebenan im Badezimmer der Ambulanz.
    Der riesige Bau des Krankenhauses Nr. 13 summte von Menschen. Petrowskij wanderte durch die Flure und Stationen, blickte in die offenen Krankenzimmer und blinzelte den Krankenschwestern zu, obgleich die meisten hochnäsig an ihm vorbeisahen. Er hatte sich gerade brav auf eine Wartebank im Flur gesetzt, als er von weitem Barynja Fjodorowna kommen sah – sie mußte es sein; soviel Brust konnte nach der Beschreibung Dr. Speschnikows nur die Barynja mit sich herumschleppen – und erhob sich erst wieder, als er sicher war, daß sie nicht zurückkommen würde. Niemand hielt ihn an, keiner fragte ihn … Nach einem bestimmten System lief hier alles umeinander und durcheinander zum Wohle der Kranken.
    Zurück in der Ambulanz – nachdem er im Operationstrakt die roten Lämpchen über der breiten Milchglastür gesehen und sich dabei gedacht hatte: Aha, Bubnow ist bereits in seinem Gallenrausch –, blieb er ruckartig vor einer der Wartebänke stehen. Da saß, ganz allein, ein Mädchen mit blonden Haaren, einer frechen Stupsnase und einem Mosaik von Sommersprossen im Gesicht. Es saß da mit ziemlich verängstigter Miene, scharrte nervös mit den Füßen und schien auf das zu warten, was man ihm gleich aus dem Untersuchungsraum mitteilen würde. Petrowskij spürte bei ihrem Anblick jene Beschleunigung des Blutes in den Adern, die man grundsätzlich nicht ignorieren sollte. Er sah auch, daß sie körperlich selbst vermessenen Wünschen entsprach, und so entschloß er sich, es nicht beim Betrachten zu belassen.
    »Ein Unfall?« fragte er sachkundig.
    Das Mädchen hob den Kopf. Ihre Stubsnase vibrierte vor Erregung.
    »Sind Sie ein Arzt, Genosse?« fragte sie zurück. Ihre Stimme war angenehm weich.
    »Sehe ich so aus?«
    »Man weiß das nie, wenn die Ärzte keinen weißen Kittel anhaben.«
    »Ich bin der Ulcus ventriculi …«
    Das Mädchen nickte mit plötzlicher Befangenheit. »Sehr angenehm. Verzeihen Sie – ist das so etwas Ähnliches wie der Chefarzt?«
    »So nahe dabei.« Petrowskij sagte es mit ernster Stimme. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich habe meine Freundin gebracht. Sie wird jetzt untersucht. Plötzlich fiel sie vom Traktor und war ohnmächtig.«
    »Vom Traktor?« Petrowskij setzte sich neben das Mädchen auf die Bank. Es lächelte ihn scheu an. Die werden staunen, wenn ich ihnen das erzähle, dachte sie. Neidisch werden sie sein. Diese Ehre: ein Ulcus soundso setzt sich neben mich! Ein ganz hoher Akademiker.
    »Ich bin Traktoristin«, sagte sie zögernd und etwas verklemmt. Mit so hohen Herren hatte sie keine Erfahrung. Die Männer im Traktorenwerk waren anders. Sie kannten genau ihren Seltenheitswert, wo jetzt alles an der Front gegen die Deutschen stand. Alle jungen Männer, die gesund und noch in den Werken übriggeblieben waren, kamen sich wie Preisbullen vor, jederzeit zum Sprung bereit, wenn ein Rock an ihnen vorbeiwehte. Hier aber saß ein Mann neben ihr, der nicht gleich auf ihre Brüste schielte und die Unterhaltung nicht mit der Frage begann: »Wann war es das letzte Mal?«
    »Ich arbeite in der Endkontrolle«, sagte sie, als sie Petrowskijs fragenden Blick

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