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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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herein ruft, gehen Sie hinein!«
    Petrowskij nickte, betrat das Krankenhaus Nr . 13 und blieb vor dem Glaskasten des Portiers stehen. Der unhöfliche Mensch stand dicht hinter ihm und schnaufte ihm in den Nacken.
    »Ist es auch möglich, daß keiner herein ruft?« fragte er.
    »Los!« knurrte der Portier und knirschte mit den Zähnen.
    Eine hübsche kleine Krankenschwester kam den Flur herunter, ging an ihnen vorbei und verließ das Krankenhaus. Petrowskij nestelte an seinem Hemdkragen und gab einen grollenden Rülpser von sich. Mit dieser Nummer hatte er schon als Schüler großen Erfolg gehabt. Vor allem im Mathematik-Unterricht versetzte er seinen Studienrat in tiefe Betroffenheit, wenn er sich vornüberbeugte, sich den Magen festhielt und mit gequältem Gesicht rülpste. Meistens durfte er dann die Mathematikstunde verlassen, sich an der frischen Luft erholen und am Rande des Schulhofes auf einer Bank in der Sonne sitzen, während die Klasse sich mit Logarithmen herumschlug. Auf die Zensur hatte das keinen Einfluß; man kann einen Kranken ja nicht bestrafen! So wurde im Zweifelsfall immer der gute Wille bewertet.
    Auch jetzt hinterließ der Rülpser eine tiefgehende Wirkung. Der Portier zog den Kopf in die Schultern und knirschte: »Was war denn das?«
    »Mein Magen. Ich hab's am Magen, lieber Genosse.« Petrowskij wischte sich über den Mund. »War das ein Vögelchen! Ja, ja, mein Magen! Ich darf mich nicht erregen. Immer wenn ich mich aufrege, sammeln sich Luftwirbel in mir. Ein Gefühl ist das … als ob man innerlich zerreißt!«
    Er ging den Flur hinunter, bog um die Ecke und stand dann vor der Tür Nr. 20. Der Portier lief in seine gläserne Loge, klemmte sich hinter den alten Schreibtisch mit dem Telefonvermittlungskasten, ballte die Fäuste und wünschte sich die Gegenwart des Krankenpflegers Domschack, mit dem er seit einem Jahr im Streit lag. Er war jetzt in der richtigen Stimmung, um unflätig herumzubrüllen.
    Im Zimmer 20 saß ein alter kurzsichtiger Mann in weißem Kittel hinter einem Schachbrett und spielte gegen sich selbst. Er hieß Dr. Speschnikow. Man hatte ihn wieder in den Hospitaldienst geholt, weil die jungen Ärzte selbstverständlich an der Front waren, auch die jungen Ärztinnen, die vor allem in den Auffanglagern, den rückwärtigen Lazaretten und den Gefangenenlagern berüchtigt waren. Was hier in Moskau zurückgeblieben war, gehörte zu den Nichttauglichen, von den großen Spezialisten abgesehen. »Das Fest der Mumien«, nannte Dr. Speschnikow die tägliche Arztkonferenz im Krankenhaus, wo er neben besonders forschen, knorrigen oder dicken Ärztinnen saß und – mit sieben Kollegen rettungslos in der Minderzahl – sich kommentarlos anhörte, was diese sich nie einig werdende Weiberversammlung an Problemen aufwarf und zu bewältigen versuchte.
    Dr. Speschnikow hatte zwar herein gerufen, aber dann kümmerte er sich nicht mehr darum, saß tief gebeugt über dem Schachbrett und grübelte darüber nach, wie der nächste Zug aussehen könnte.
    Petrowskij wartete an der Tür, räusperte sich, aber da nichts geschah, kam er näher, betrachtete über die Schulter des Arztes das Schachbrett und sagte dann: »Der weiße Springer kann doch den Bauern wegnehmen …«
    »Sie Rindvieh! Weiß bin doch ich. Schwarz ist am Zug!« antwortete Dr. Speschnikow.
    »Dann sollte der Turm von E 3 nach …«
    »Das ist es! Das ist es wirklich! Der Turm!« Dr. Speschnikow kassierte einen weißen Läufer und hob dann den Kopf. Hinter der randlosen dicken Brille funkelten seine graublauen Augen. »Sie haben mir meinen Läufer weggenommen. Setzen Sie sich! Jetzt bin ich wieder dran. Freuen Sie sich nicht zu früh. In vier Zügen sind Sie matt!«
    Petrowskij setzte sich, schob seinen Stuhl näher heran – und nach sechs Zügen war Dr. Speschnikow schachmatt. Er seufzte, nahm seine Brille ab, rieb die Gläser an seinem Hemdärmel und musterte dann den Mann, der ihn besiegt hatte.
    »Wer sind Sie?« fragte er interessiert.
    »Der Ulcus ventropoli …«
    »Das Ulcus ventriculi!«
    »Sie müssen es wissen, Genosse Doktor. Ich habe es so verstanden.«
    »Wo?«
    »Der Genosse Armeearzt persönlich sagt zu mir: Mein lieber Luka Iwanowitsch, mit deinem Magen ist es ein Kreuz! Du kannst nicht mehr wie die anderen nach Berlin marschieren und die Nazis vernichten. Dein Ulcus ventro …«
    »Ventri!«
    »Ist das so wichtig, ob o oder i? Es schmerzt höllisch, Genosse Doktor. Hier ist meine Einweisung. Ich soll mich

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