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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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laufe ich dir bis Sibirien nach, um dir den Hals umzudrehen! Verstehst du mich?«
    »Wirst dir die Füße nicht abwetzen müssen«, sagte Iwanow und lachte laut. »Das verspreche ich dir …«
    Er blickte Lumjanow nach, wie er das Gerüst herunterkletterte. In vierzehn Tagen, dachte er dabei. Kameraden, wir müssen unseren Zeitplan ändern. Ich kann nicht warten, bis wir uns alle bei Milda Ifanowna treffen und die weiteren Schritte festlegen. Ich muß früher auftauchen. Ich muß in vierzehn Tagen eine Pistole haben, eine Handgranate und einen Sprengsatz! Ich bin im Kreml, Kameraden! Hautnah bei Stalin! Das wirft alle Planungen um. Selbst träumen hätte man eine solche Entwicklung nicht können – da kapitulierte selbst die Phantasie.
    Iwanow lehnte sich gegen das Gerüst und blickte in den Saal. Der General erklärte immer noch. Ich werde es nicht überleben, dachte Iwanow und mußte sich eines merkwürdigen, beklemmenden Gefühls erwehren. Um ganz sicher zu sein, muß ich nahe an Stalin heran … da gibt es keine Alternative mehr! Ob Handgranate oder Sprengsatz – es reißt uns beide auseinander. Ein Schuß ist zu unsicher.
    Er drehte sich um und sah hinüber zu der großen Kuppel des Minsterrat -Gebäudes. Die Sonne spiegelte in den Fenstern, die goldenen Zwiebeltürme der Kirchen schienen sich im Sonnenglanz zu wiegen und schwerelos zu tanzen. Es war heiß. Moskau dampfte. Ein Taubenschwarm umkreiste den Glockenturm ›Iwan der Große‹. Von der Großen Glocke ›Zar Kolokol‹ näherte sich ein sowjetischer Kleinlastwagen und hielt vor dem Gerüst. Iwanow sah, wie Lumjanow herbeistürzte und Wanda Semjonowna ausstieg. Sie trug ihre Arbeitskleidung, mit Kalk bespritzt. Lumjanow zeigte nach oben. Sie hob den Kopf und winkte mit beiden Armen.
    »Komm runter, Fedja!« rief sie. »Ich habe dir was mitgebracht! Pilze! Ein ganzes Gläschen! Komm runter!«
    Ich liebe sie, dachte Iwanow und kletterte die Gerüstleitern hinunter. Wirklich, ich liebe sie. Das ist kein Abenteuer mehr. Das ist nicht so wie mit Elfriede, Erna, Monika oder Lotte. Das ist so viel, daß ich plötzlich Angst habe vor dem Sterben. Daß ich mir wünsche, Stalin nie zu sehen. Aber was sind Wünsche? Liebe, süße Wandaschka, wir sollten jede Minute für uns stehlen – es bleibt uns nur noch wenig Zeit … so wenig …
    Auf der Erde umarmte er Wanda Semjonowna, drückte sie an sich, küßte sie, wozu Lumjanow »Viel Glück! Viel Glück!« rief, und verfluchte Stalin, den Krieg und seinen Auftrag, die Weltgeschichte zu ändern.
    Am 22. Juni 1944 erhob sich auf einer Breite von 560 Kilometern der rote Sturm und donnerte auf die deutschen Linien. Drei sowjetische Fronten – die 1., 2. und 3. Weißrussische Front unter dem Oberbefehl von Marschall Shukov – brandeten gegen die dünnen deutschen Armeen. Auf jedem der 500 Kilometer Breite hämmerten 250 Geschütze ihre Granaten in den Feind, pflügten das Land um, verschonten keinen Meter Boden. Tausende von Panzern brachen aus dem Hinterhalt hervor und überrollten die deutschen Bunkerstellungen und Gräben. Der Himmel wimmelte von sowjetischen Jägern, Kampfflugzeugen und Aufklärern, denn die Mehrzahl der deutschen Luftgeschwader war in den Westen abgezogen worden, wo die Invasion der Amerikaner und Engländer längst festen Fuß gewonnen und Rommel in eine aussichtslose Lage manövriert hatte. Eine riesige Zange klappte zu; zwischen ihren feurigen Backen wurde Deutschland langsam, aber unaufhaltsam zermalmt.
    Die 3. Weißrussische Front unter Tschernjachowski stieß mit fünf Armeen auf Witebsk zu und sah sich nur einem Gegner gegenüber: der kleinen deutschen 3. Armee! Sacharows 2. Weißrussische Front mit drei Elite-Armeen traf auf die deutsche 4. Armee, die nie in all den Jahren auch nur eine Minute Ruhe gehabt hatte und in ständigen Vorwärtsbewegungen oder Rückzugskämpfen stand. Mit ungeheurer Wucht, die ganze deutsche Flanke aufreißend, marschierte die 1. Weißrussische Front unter Rokossowskij in Richtung Bobruisk - Minsk und quer durch den Pripjet nach Brest - Litowsk: eine unvorstellbare Menschenmasse von zehn sowjetischen Armeen allein auf diesem Frontabschnitt!
    Mit einem Schlag an diesem 22. Juni 1944 setzten sich achtzehn russische Armeen in Bewegung, denen sich vier deutsche ausgeblutete Armeen gegenüberstellten. Ein Kräfteverhältnis, das auch Hitler in seinem Befehlsstand ›Wolfsschanze‹ begriff und dem er nichts entgegenzuhalten hatte als den Spruch: »Ein deutscher

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