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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht die literarischen Abende mit ihren fast durchweg schwindsüchtigen Künstlern, die zwar mit heroischen Worten, in Hymnen und lyrischen Balladen, die siegreichen sowjetischen Armeen lobten, hervorragende Poeme schrieben, Kampf- und Siegeslieder komponierten, herzergreifende Plakate entwarfen und sich in guter russischer Tradition bei jeder Siegesmeldung aus dem Radio mit Tränen in den Augen umarmten und abküßten, aber ihren eigenen Leib sehr wohl mit allerlei Krankheiten vor einer Uniform schützten; gemeint ist auch nicht Mildas Leidenschaft für das Theater, wo sie jede erreichbare Vorstellung besuchte. Beachtenswert war vielmehr eine andere Leidenschaft, die der Lyriker Matwej Petrowitsch Ptscholkin, das herumwandelnde Muster eines Lungenkranken, so beschrieb:
    »Sie ist zu einem blühenden Papyrusstrauch geworden, der nur in Feuchtigkeit gedeiht.«
    Das war dichterisch und gemein zugleich. Ptscholkin spielte damit auf die stete Gegenwart von Major Wolnow an. Wer kann es dem eleganten, verliebten, im Glück schwimmenden, kopflosen und verrückten Iwan Michailowitsch übelnehmen? Nach der ersten Nacht in Mildas Armen, nach diesem Erlebnis von Liebesvariationen und Leidenschafts-Virtuosität, verwandelte sich Major Wolnow vollkommen: Er wurde zum Idioten in Mildas Hand. Hatte er bisher geglaubt, ein Frauenkenner zu sein, ein sieghafter Klöppelträger, ein unbremsbarer Eroberer und phantasievoller Bett-Turner, so überschwemmte ihn nach der ersten Milda-Nacht ein unheilbarer Minderwertigkeitskomplex, aber auch eine geradezu höllische Angst, er könne Milda jemals wieder verlieren und der ganze Himmel voller Seufzen und Stammeln könne über ihm zusammenstürzen.
    Drücken wir es klar aus: Major Wolnow war Milda so verfallen, daß er seinen Dienst im Kreml nur noch wie ein Automat absolvierte, nach Dienstschluß wie ein Gejagter in die Lesnaja uliza No. 19 hetzte und erst dort wieder zu leben begann. Ptscholkin, der Lyriker, behauptete, schon an der Haustür zöge er seinen Rock aus, und wenn er oben in die Wohnung stürze, sei er bereits hosenlos. Das soll man nicht glauben – das ist nur die Sprache der persönlichen Enttäuschung. Aber an Symbolkraft ließ sie nichts zu wünschen übrig.
    Was Wolnow an Sonderzuteilungen heranschaffen konnte, das lud er bei Milda ab. Und da die Offiziere im Kreml eine besondere Verpflegung erhielten, von der man außerhalb der hohen Mauern nichts wußte, hatte Milda es nun nicht mehr nötig, sich morgens um fünf beim Bäcker oder Fleischer anzustellen; sie brauchte nur den nach ihrer glatten Haut lechzenden Iwan Michailowitsch mit ihren anregenden Küssen zu empfangen, wenn er mit praller Aktentasche oder Tüten bei ihr erschien. Ganz klar, daß auch die Künstlerclique davon profitierte und wie die hungrigen Wölfe fraß, wenn Wolnow wieder zum Dienst gefahren war.
    Niemand hätte geglaubt, daß Milda Ifanowna, die ihrem Aussehen zum Trotz ›an allen maßgebenden Stellen mit Blech beschlagen war‹ – wie es Ptscholkin nannte –, zu solcher Leidenschaft fähig war. Die Uniform allein konnte es nicht sein, auch wenn man behauptet, daß Soldatentuch zu den größten Aufreißern gehört – schließlich lag Iwan Michailowitsch nicht mit Verdienstorden auf der Brust im Bett, sondern etwas blaßhäutig und mäßig behaart. Er mußte also andere Qualitäten besitzen, über die man unter Männern nachdenklich sprechen konnte. Und so war es auch: Wolnow besaß den unübertrefflichen Vorzug, im engen Kreis um Stalin zu leben und Milda viel aus dem Kreml erzählen zu können. Er tat das, indem er sie beschwor, kein Wort davon weiterzugeben, und sie überzeugte ihn von ihrer Ehrlichkeit, indem sie ihn nach notwendigen Ruhepausen wieder über sich zog.
    Wolnow erzählte auch von General Radowskij, dem eleganten Freund Stalins, der trotz seiner mittelgroßen, gedrungenen Figur immer wie ein Bild aus einem Propagandabuch über sowjetische Offiziere aussah. Und er berichtete von der Fröhlichkeit, die alle befallen hatte, als die Offensive schon nach zwei Tagen erkennen ließ, daß es den Deutschen nicht mehr gelingen konnte, irgendwo wieder festen Fuß zu fassen. Die Wucht des Vorstoßes, die Masse der Truppen, die Überlegenheit des Materials waren zu erdrückend.
    Was Milda unter, über oder neben Wolnow hörte, meldete sie in den frühen Morgenstunden per Funk an ihren Kontaktmann. Es gehörte zum Prinzip, daß sie nicht wußte, wie er hieß und wo er wohnte – sie kannte nur

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