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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mann zu Mann. Es könnte sehr informativ sein …«
    »In bezug auf Wildgänse?«
    »Kaum. Stauffenberg weiß nichts davon. Keiner weiß ja davon, bis auf unseren kleinen Kreis, und das bleibt auch so. Sie sollten mit Stauffenberg kameradschaftlichen Kontakt aufnehmen.«
    Renneberg fuhr zurück in seine kleine Wohnung in Charlottenburg und trank erst einmal zwei Glas französischen Cognac. Auch von Canaris war kein Rat zu holen, dachte er. Die zehn sind abgeschrieben, amtlich vermißt, und man wird sie auch nie wiedersehen. Es bleibt nur die Hoffnung: daß sie die neue Situation richtig beurteilen und früher bei Milda erscheinen als befohlen. Aber was käme dabei heraus? Stalin steht nicht als Zielscheibe ständig zur Verfügung. Um an ihn heranzukommen, braucht man Zeit. Und genau die haben wir nicht mehr. Die Zeit läuft uns Deutschen davon; die Sowjets treiben uns vor sich her. Die Uhr der Weltgeschichte schlägt für Rußland.
    Oberst von Renneberg dachte intensiv an seine zehn und vergaß darüber Canaris' Anstoß, sich mit Stauffenberg zu treffen. Er ahnte nicht, daß ihm das später das Leben retten sollte. In Moskau ahnte auch niemand, daß zwei kriegsentscheidende Unternehmen nebeneinander abrollten. Milda sorgte dafür, daß Wolnows Kopf jede Nacht weich zwischen ihren Brüsten gebettet war, eine Lage, bei der er am besten plauderte und Informationen lieferte, die bei der deutschen Abwehr zu dem Ausruf führten: »Das ist ja Zucker, was da aus Moskau kommt!« Es war freilich so, daß niemand diesen Zucker sinnvoll in die Suppe rühren wollte. Hitler weigerte sich kategorisch, die Meldungen des Irren – damit war Canaris gemeint – noch weiter zur Kenntnis zu nehmen. Die Konkurrenz in Schwarz – das SS-Reichssicherheitshauptamt – verhielt sich neutral, um Canaris allein den Zorn des Führers schlucken zu lassen. Die Generalität in der ›Wolfsschanze‹ sammelte die Berichte zur eigenen Erkenntnis, sorgte aber dafür, daß Hitlers Zorn die Luft nicht allzu sehr in Bewegung setzte.
    Es war am Abend des 30. Juni 1944, als Major Wolnow am Tisch bei Milda saß und Hackbratenkügelchen mit frischem Kohl aß. Der Poet Ptscholkin hatte nicht recht: Iwan Michailowitsch trug seine Hosen noch, er war sogar in voller Uniform und sah so aus, daß ein Frauenherz zu einem Honigkloß werden muß. Mit Appetit aß er, trank dazu sehr wässerigen Kwaß und war glücklich wie ein junger Ehemann, dem sein Frauchen ein kräftiges Mahl vorsetzt, damit sich das später in den Federn auswirkt.
    Aus dem leise gestellten Radio klang Musik von Borodin. Milda trug einen asiatischen Kimono mit bunten Seidenblumen, und Wolnow wußte, daß sie darunter nackt war. Dieses Wissen erregte ihn – mit glänzenden Augen schaute er Milda an, mit treuergebenem Ochsenblick. Er piekte die Hackfleischklößchen auf die Gabel und schob sie in den Mund.
    »Man erkennt Stalin nicht wieder«, sagte er. »Sogar gelacht hat er heute. Man stelle sich das vor! Laut gelacht! Ich habe eine historische Minute erlebt!«
    Er wollte noch berichten, daß er bei der Lagebesprechung zum erstenmal als Ordonnanzoffizier zehn Meter von Stalin entfernt gestanden habe, als es an der Tür klopfte. Milda blickte etwas verstört über den Tisch. Jeder von ihren Bekannten wußte, daß die Abende unantastbar geworden waren. Selbst der Lyriker Ptscholkin hielt sich daran, nachdem er dreimal hinausgeflogen war. Immerhin hatte er soviel gesehen, daß Major Wolnow nur in Hose und Unterhemd auf dem Sofa saß und viel von seiner Wirkung verloren hatte. Das regte ihn an, spontan ein Poem zu schreiben mit dem Titel ›Das heldenhafte Tuch‹.
    »Wer ist das?« fragte Wolnow erstaunt. Er war froh, noch in seiner Uniform zu stecken.
    »Ich sehe nach. Vielleicht ein Irrtum. Eine falsche Tür, an die geklopft wurde.«
    Sie erhob sich, aufgescheucht von einem Klopfen, das in einem bestimmten Rhythmus erklang. Auch Wolnow, der ja kein Dummer war, fiel das Hämmern auf. Er legte seine Gabel hin, schob im Sitzen den Stuhl zurück und erhob sich. Sogar den obersten Knopf seiner Uniform knöpfte er zu und zog den Rock am Körper glatt.
    Milda öffnete die Tür einen Spalt, blickte hinaus, ihr Herzschlag setzte aus, aber dann fing sie sich; ihre Kaltblütigkeit siegte über den ersten Schock, und sie wollte die Tür wieder zudrücken. Doch daran hinderte sie der gute Wolnow, der plötzlich in einen Strudel von gewaltigen Eifersuchtsgefühlen geraten war und ihnen keinen Widerstand

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