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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aber nur eine Sekunde, dann wurde er sichtbar verlegen, sprang aus seinem Sessel, nahm Haltung an und blieb stehen, wie aus einem Stamm geschnitzt. Da sein Gegenüber schwieg, sagte Radowskij:
    »Genosse Generalissimus … Diese Überraschung ist Oberst Smolka gelungen. Wahrhaftig, das ist eine Überraschung.« Entsetzt schwieg Radowskij. Er verfärbte sich, sein Mund klappte auf. Daß Schweiß aus allen seinen Poren brach, merkte er, als er sich wie gebadet vorkam und Nässe über seine Augen und Wangen rann, in die offenen Mundwinkel hinein. Hinter seinen Augäpfeln spürte er ein Brennen.
    Ein zweiter Mann war hereingekommen und stellte sich stumm neben den ersten. Er lächelte Radowskij zu und winkte ihm in unnachahmbarer Art zu.
    Smolka nickte.
    Ein dritter betrat den Raum, stellte sich neben die beiden anderen und winkte dem General mit einem sonnigen Lächeln zu.
    Radowskij war einem Zusammenbruch nahe. Mit unschön vorquellenden Augen starrte er die drei Männer an, atmete laut ein und aus, ließ sich darauf in den Sessel fallen und griff mit zitternden Fingern nach einer Zigarette. Nach dem ersten Zug schloß er die Augen, als sei er vergiftet worden. »Das ist ungeheuerlich! Igor Wladimirowitsch, das ist einfach ungeheuerlich! Damit hätten Sie einen weniger starken Menschen wie mich töten können. Sie sind ganz einfach verrückt!«
    »Ich wollte es Ihnen vorher erklären, Genosse General«, sagte Smolka, noch immer an der Wand lehnend.
    »Wer ahnt denn so etwas?« Radowskij öffnete die Augen. Das unglaubliche, das wahnsinnige, das unfaßbare Bild blieb:
    Vor ihm standen, mit dem berühmten Lächeln unter dem buschigen Schnauzbart, drei Stalins.
    Die gleiche massige, gedrungene, grobe Figur. Das gleiche bleifarbene Gesicht mit dem Ansatz eines Doppelkinns. Die gleichen grauen, bürstenhaft wirkenden Haare. Die gleichen buschigen Augenbrauen, die starke Nase, der dicke Schnurrbart, das breite Kinn. Die gleiche, schlichte Alltagsuniform mit den breiten Schulterstücken und nur einer Auszeichnung; dem Lenin-Orden. Dreimal derselbe Mensch. Radowskij schluckte eine Ansammlung von Speichel hinunter und blickte hinüber zu Smolka. »Mephisto –«, sagte er heiser. »Sie sind ein vollendeter Teufel, Smolka! Das ist einfach unbegreiflich!«
    »Wir kommen ohne Schminke und Perücken aus. Alles ist echt.« Smolka machte einen heiteren Eindruck. »Ein Fleischer würde sagen: Wie gewachsen.«
    »Unfaßbar ist es!« Radowskij erhob sich schwer, als habe dieser Schock Blei in seine Knochen gefüllt, und ging von einem Stalin zum anderen Stalin. Er starrte ihnen ins Gesicht, betrachtete sie von oben bis unten und ging dann mit einem Kopfschütteln zu seinem Sessel zurück. »Unglaublich! Igor Wladimirowitsch, wer jeden Tag mit Stalin zusammenlebt, muß dieses Bild erst überwinden.«
    Smolka löste sich von der Wand und füllte aus einem Samowar fünf Tassen mit einem süßlich duftenden Tee von hellgrüner Farbe. Während er die Tassen verteilte, stellte er die drei Stalins vor.
    »Das ist Wladimir Leontijewitsch Plesikowski. Tischler aus Temir-Tau in Kasakstan. Alle Stalindenkmäler der Dörfer und Städte an der Nura tragen seine Züge, denn er saß Modell für die Bildhauer.«
    Radowskij nickte. Plesikowski lächelte ihm wohlwollend zu und hakte den rechten Daumen in die Knopfleiste seiner Uniform. Sogar diese Geste stimmt, durchfuhr es Radowskij. Dieses Lächeln unter dem Schnauzbart … jeden Tag sehe ich es. Und dieser breite Mund darunter kann plötzlich aufreißen und brüllen, und das fahle Gesicht wird dann rot und scheint zu bersten, bis es in sich zusammenfällt, versteinert und zum lebenden Denkmal wird.
    »Nikolai Iljitsch Tabun –«, stellte Smolka den nächsten vor.»Ein Fuhrmann. Lebt in Osa an der Kama, südlich von Perm. Für das Parteiplakat zur Oktoberrevolutionsfeier von 1943 wurde sein Foto verwendet, weil es kein Bild von Stalin gab, auf dem er mit beiden Armen dem Volk zuwinkt. Immer hebt er nur die rechte Hand halbhoch bis an die Stirn.«
    »Das stimmt«, sagte Radowskij erschöpft. »Beide Arme reißt Stalin nur hoch, wenn er mit seiner Tochter Svetlana Allilujewa schäkert.«
    »Nummer drei ist Anton Wasiljewitsch Nuraschwili …«
    »Aha!« Radowskij klopfte sich auf die Oberschenkel. »Entfernte Verwandtschaft?«
    »Nur örtlich! Nuraschwili stammt aus Achalkanski, südlich von Tiflis. Er ist Arzt. Seine Heilerfolge führt er zur Hälfte darauf zurück, daß seine Patienten sich

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