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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und schüttelte den Kopf. »Und die anderen, Mildaschka?«
    »Nichts. Kein Lebenszeichen mehr.«
    »Wer?« fragte Sepkin. Seine Stimme klang rostig.
    »Nachher. Wenn die anderen gekommen sind …«
    Bis elf Uhr trafen sie alle ein. Sie umarmten sich, klopften sich auf Schulter und Rücken, küßten sich auf beide Wangen und waren glücklich, sich wiederzusehen. Die beklemmende Spannung, die auf ihnen gelastet hatte, löste sich.
    Als letzter platzte Petrowskij in die Wohnung, anders konnte man es nicht nennen. Getreu seinem Ruf, ein Mundwerk von zehn Kolchosmarktweibern zu besitzen, breitete er beide Arme aus, stieß einen Juchzer aus und schwenkte zwei dunkelbraune Papiertüten.
    »Genossen!« rief er. »Mein Herz hüpft wie eine Herde Känguruhs! Euch wiederzusehen, welche Freude! Wißt ihr, was in den Tüten ist? Wurst, Brot, Butter, Weißkäse, Gurken und eine Hähnchenbrust. Dazu gibt es ein Fläschchen Samagonka, selbst gebrannt im tiefen Keller!« Er trat die Tür hinter sich zu, drückte die Tüten an seine Brust und brüllte weiter: »Und woher hat der liebe Petrowskij diese Schätzchen? Fahre ich doch mit meinem Traktor Probe und sehe einen traurigen Menschen an einer Autowerkstatt stehen. Ich halte an, rufe ihm zu: ›Warum rollen dir die Tränen über die Wangen, Brüderchen?‹ und er sagt: ›Wie kann man Autos reparieren ohne das richtige Werkzeug?‹ Und dabei schluchzt er wieder. Ein weiches Herz habe ich, Genossen, ihr wißt es! Ich gebe ihm also meinen Werkzeugkasten, der zum Traktor gehört, und er gibt mir die Tütchen voll Leckereien. Wir küssen uns, ich fahre zurück zur Fabrik und melde: Traktor gut, aber es fehlt der Werkzeugkasten! Abnahme erst bei Nachlieferung des Werkzeuges! – Brüderchen, genial muß man sein in der heutigen Zeit …«
    »Mein Gott, halt die Fresse!« sagte Boranow, nahm Petrowskij die Tüten ab, umarmte ihn und stieß ihn zu den anderen weiter. Als er von allen gedrückt worden war und sich Milda zuwandte, um sie zu küssen, hielt ihn Boranow zurück.
    »Wir sind komplett!« sagte Duskow ernst.
    Petrowskij blickte sich um und begriff. Seine schäumende Freude fiel in sich zusammen, so wie eine Seifenblase platzt. Er senkte den Kopf, riß sein Hemd auf, als ersticke er, und sagte leise: »Ich bitte um Verzeihung. Ich – ich war mir so sicher, daß wir zehn …«
    Er brach ab, biß sich auf die Unterlippe und stellte sich neben Boranow. Der kleine Plejin, ein wenig blaß und noch schmaler durch seinen Dienst auf der Tscherskasskaja, nestelte an einem Goldkettchen mit einem Hufeisen daran, das ihm Ljudmila Dragomirowna am letzten Sonntag geschenkt hatte.
    Duskow, nach dem Willen von Oberst von Renneberg beim Ausfall von Sassonow der neue Chef der Gruppe, hob den Kopf. Er sprach gerade so laut, daß man seine Worte durch die Tschaikowskij-Musik noch verstehen konnte.
    »Kameraden«, sagte er in deutscher Sprache, »es ist anzunehmen, daß wir unsere vier anderen Kameraden nicht mehr wiedersehen. Wir ehren sie durch ein Gedenken, das wir immer in unseren Herzen behalten wollen.«
    Milda Ifanowna zuckte zusammen. Ein lauter Schlag ertönte in ihrer Wohnung. Die sechs Männer hatten die Hacken zusammengeschlagen und standen in strammer Haltung da. Sie starrte ihre Freunde an, ungläubig, fast entsetzt, ein Schauspiel aufnehmend, das sie in seiner Gespenstigkeit nicht begriff. Sechs deutsche Offiziere benahmen sich mitten in Moskau wie bei einer Trauerparade. Dabei trugen sie schlechte, verbeulte sowjetische Anzüge und sahen aus wie Tupfen aus dem grauen Massenbild der Werktätigen.
    »Wir trauern« – sagte Duskow gepreßt – »um unsere Kameraden:
    Major Bodo von Labitz
    Oberleutnant Berno von Ranowski
    Oberleutnant Detlev Adler und
    Leutnant Dietrich Semper.
    Sie fielen an vorderster Front getreu ihrem Fahneneid …«
    »Sind Sie fertig?« fragte Milda Ifanowna laut. Duskow zuckte zusammen, als erwache er aus einem Traum.
    »Ja!«
    »Dann ist es gut.« Die Stimme der Kabakowa war hart. »Ihr seid nicht hier, um strammzustehen, sondern um Stalin zu töten.«
    Boranow löste sich aus seiner strammen Haltung und setzte sich auf einen Stuhl, der hinter ihm stand. Der kleine Plejin, voll innerer Ergriffenheit Speichel hinunterwürgend, verschluckte sich und begann zu husten. Petrowskij war der erste, der sich aus dieser Gedenkminute völlig lösen konnte. Er sagte:
    »Sie sind ein gletscherkaltes Aas, Milda Ifanowna. Mit Ihnen im Bett zu liegen, muß einem Kälteschock

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